Ende Juni fand für drei Tage an der Queen Mary University of London das “Permanent Peoples‘ Tribunal on State and environmental violence in West Papua” statt.
An insgesamt drei Tagen berichteten knapp 30 Zeug*innen über die Menschenrechtslage und die Umweltzerstörungen in Westpapua. Aktuelle Geschehnisse wie die Gewalt der Sicherheitskräfte und die anhaltende Stationierung von Militär in Westpapua, die Situation der Binnenflüchtlinge und die Auswirkungen der Umweltzerstörungen für indigenes Leben und Überleben wurden ebenso thematisiert wie vergangene Menschenrechtsverbrechen.
Anfang Oktober veröffentlichte das Richtergremium des Permanent Peoples‘ Tribunal (PTT) sein Urteil. Darin wird besonders der indonesische Staat scharf kritisiert. Staatliche Verbrechen, die Gewährung von Straffreiheit und die Verbindung von staatlichen und unternehmerischen Interessen, die zu einer „Auslöschung“ der Papuas führen, sind nur einige Punkte des Urteils, die den Aussagen der Papuas Gehör und Gerechtigkeit verschaffen. Die Verflechtung zwischen Unternehmen und Staat und Militär bestehe aus einem „Regime des Terrors“, so das Urteil, und schränke menschliche Handlungsspielräume ein. Dennoch wird in dem Urteil nicht nur der indonesische Staat zur Verantwortung gezogen, sondern auch die Staaten, in denen in Westpapua aktive Unternehmen ansässig sind oder die Staaten, die an der Ausbildung indonesischer Sicherheitskräfte beteiligt sind.
Das Urteil in acht Punkten
(vom WPN übersetzt):
„Das PPT-Urteil zu staatlicher und umweltbezogener Gewalt in Westpapua wurde am 1. Oktober auf der 57. Sitzung des UN-Menschenrechtsrates vorgestellt.
Der Antrag, der zu den öffentlichen Anhörungen führte, die vom 27. bis 29. Juni 2024 an der Queen Mary University of London stattfanden, wurde vom Centre for Climate Crime and Climate Justice (CCCCJ) und einem Netzwerk von internationalen und indonesischen Menschen- und Umweltrechtsorganisationen und -verbänden gestellt.
Die Aufgabe dieses Tribunals war es, die Wahrheit über die kriminellen Ereignisse in Westpapua und die dort stattfindende Unterdrückung zu ermitteln, aber auch die unveräußerlichen Rechte der indigenen Gemeinschaften in Bezug auf Land und Umwelt zu klären und zu bekräftigen. Die dem Tribunal vorgelegten Unterlagen und vor allem die Zeugenaussagen in den öffentlichen Anhörungen zeichnen ein Bild eines verheerenden Angriffs auf das Leben und die Lebensgrundlagen der Papuas. Westpapua ist ein exemplarischer Fall für die gegenwärtige Verweigerung des Selbstbestimmungsrechts, ein Prinzip, das in der Allgemeinen Erklärung der Rechte der Völker anerkannt wurde, aus der dieses Tribunal 1979 hervorging.
Das Gericht hatte über vier Anklagepunkte zu beraten, die gegen die indonesische Regierung sowie gegen ausländische Akteure erhoben wurden: Landraub (a), gewaltsame Unterdrückung und Menschenrechtsverletzungen (b), Umweltzerstörung (c) und geheime Absprachen zwischen dem indonesischen Staat und in- und ausländischen Unternehmen (d). Das Urteil, das aus acht Abschnitten besteht – einschließlich der angenommenen Verfahren, der Antworten auf die Anklagen sowie der Beratungen und Empfehlungen -, lässt sich in den folgenden Punkten zusammenfassen:
- Die indigenen Gemeinschaften wurden auf schmerzhafte Weise enteignet und elementarer Freiheiten, wie der Bewegungsfreiheit, beraubt und auch ihrer wirtschaftlichen Rechte beraubt.
- Das System der vorherigen Konsultation der betroffenen Bevölkerung, der Einholung und Überprüfung ihrer Einwilligung in Kenntnis der Sachlage wird seit dem umstrittenen Annexionsreferendum im Jahr 1969 vom indonesischen Staat manipuliert, um seine eigenen Ziele zu erreichen, und gewährleistet keinerlei Respekt für die besonderen wirtschaftlichen, aber auch spirituellen Beziehungen zwischen der westpapuanischen Bevölkerung und ihrer Umwelt.
- Dem Tribunal wurden sehr ernste Fälle und konkrete Daten von Menschenrechtsverletzungen vorgelegt. Die indigenen Gemeinschaften Westpapuas leben, so ein Zeuge, im „Schatten der Angst“. Dieser Zustand wurde im Laufe der Zeit durch staatliche Verbrechen und die Gewährung von Straffreiheit für die Täter dieser Verbrechen geschaffen.
- Die Auswirkungen auf Land, Wasser und Wald sind schwerwiegend und resultieren aus den Bergbau- und landwirtschaftlichen Aktivitäten, der Gewinnung und Verflüssigung von Erdgas, der absichtlichen Abholzung von Wäldern für Palmölplantagen und den jüngsten Lebensmittelprojekten.
- Das Gericht ist der Ansicht, dass die ökologische Zerstörung nicht von den staatlichen und unternehmerischen Projekten getrennt werden kann, die auf die Auslöschung eines Volkes abzielen, was von mehr als einem Zeugen als „langsamer Genozid“ bezeichnet wurde.
- Das Tribunal hat die Verflechtung zwischen Unternehmen und Staat und Militär, die die industriellen Aktivitäten in der Region kennzeichnet, zur Kenntnis genommen. Es besteht aus einem Regime des Terrors, Militarisierung, Straflosigkeit, Unregelmäßigkeiten und der Einschränkung menschlicher Handlungsspielräume und der Ausübung des Lebensunterhalts sowie des Gedanken- und Informationsaustauschs.
- Insbesondere die indonesische Nationalarmee ist zu einem Instrument für den Schutz der Interessen des Staates und der Unternehmen geworden, und zwar in einer Weise, die Repressionen gegen diejenigen beinhaltet, die sich den weithin dokumentierten Missständen widersetzen oder diese anprangern. Einem Zeugen zufolge „konnten sie sich das Land nicht nehmen, also mussten sie einen Konflikt schaffen“.
- Die in der Anklageschrift genannten Unternehmen – darunter unter anderem Freeport McMoRan, British Petroleum und seine Partner sowie elf Palmölkonzerne – sind direkt in die Gewalt gegen die indigenen Gemeinschaften verwickelt. Das Gericht hat auch erfahren, dass westliche Staaten in die Ausbildung indonesischer Sicherheitskräfte verwickelt sind, die für Menschenrechtsverletzungen verantwortlich sind. Das Tribunal ist daher der Ansicht, dass nicht nur der indonesische Staat, sondern auch die Staaten, in denen diese Unternehmen ansässig sind, einer internationalen Kontrolle unterzogen werden müssen.
Das PPT-Richtergremium gab umfangreiche Empfehlungen ab: an die indonesische Regierung (in Bezug auf: angestammtes Land, Umwelt und indigene Papuas; Binnenvertriebene; Gerechtigkeit und Rechtsstaatlichkeit; und Zugang zu UN- und humanitärer Hilfe), an den privaten Sektor, an die Länder der Region, an die internationale Gemeinschaft und an die privaten Akteure sowie die nationalen und internationalen Zivilorganisationen.
Das Tribunal stellt fest, dass die Situation äußerst dringlich ist. Sechs Jahrzehnte lang hat die Mentalität des Siedler-Neokolonialismus zusammen mit seinen konkreten Praktiken zu einer schwerwiegenden Verschlechterung des Lebens der Papuas geführt, die sich in den letzten Jahren massiv verschärft hat. Die internationale Gemeinschaft ist daher aufgerufen, ihren langjährigen Bitten Gehör zu schenken. Insbesondere hält es das Tribunal für zwingend erforderlich, dass so bald wie möglich eine umfassende UN-Untersuchung mit einem weitreichenden Mandat durchgeführt wird, um vergangene und gegenwärtige Übergriffe gegen die indigenen Gemeinschaften Westpapuas sowie mögliche Formen der Rechenschaftspflicht und Wiedergutmachung zu untersuchen.“
Das ausführliche Urteil endet mit einer Botschaft nach Westpapua
„Die nationale und internationale öffentliche Meinung muss für die Sache des Volkes von Westpapua gewonnen werden. Das Ständige Völkertribunal (PPT, Anm. d. WPN) hat hier eine Rolle zu spielen, als Instrument des Widerstands gegen Unterdrückung und zur Durchsetzung von Rechten und Gerechtigkeit. Es ist ein Ort, an dem die Menschen ihre Stimme erheben und sich zusammentun können, um Solidarität zu weben und zu stärken. Die Richter sind davon überzeugt, dass die gemeinsame Anstrengung, die in die Verwirklichung dieser Sitzung gesteckt wurde, neue Sichtbarkeit und, wie wir hoffen, mehr Möglichkeiten bieten wird, sich mit anderen Organisationen und Menschen zu verbinden.
Wir möchten den Zeugen und der Staatsanwaltschaft für ihr Engagement und ihre Hingabe, aber auch für ihre Stärke und ihre Hoffnung für die Zukunft danken. Als Richter sind wir nach dieser Sitzung entsetzt über das Ausmaß der Zerstörung, die Westpapua und die Menschen in Westpapua erlitten haben. Doch trotz all des Schmerzes und der Verwüstung fühlen wir uns gestärkt durch die würdevolle und entschlossene Art und Weise, in der sich die Menschen in Westpapua an vorderster Front gegen diejenigen gestellt haben, die ihr Leben und ihre Lebensgrundlage zerstören wollen. Dafür sollte jeder, nicht nur aus der westpapuanischen Gemeinschaft, sondern auch aus der internationalen Gemeinschaft, für immer dankbar sein und sich verpflichtet fühlen, sie zu unterstützen. Als Richter haben wir dieses Zeugnis im Bewusstsein der Dringlichkeit, mit der es behandelt werden muss, und auch mit großer Bewunderung für das, was die Papuas getan haben und tun, um ihr heiliges Land und ihre Kultur zu schützen, angehört.“
Das ausführliche Urteil des PPT ist hier zu finden.
Eine Kurzversion in acht Punkten hier.