Am 15. August 2019 organisierten die Aliansi Mahasiswa Papua (AMP, Allianz papuanischer Studenten) und die Front Rakyat Indonesia untuk West Papua (FRI West Papua, indonesische Volksfront für Westpapua) friedliche Proteste in mehreren indonesischen Städten zum Gedenken an den 57. Jahrestag des New Yorker Abkommens. Parallel dazu fand eine groß angelegte Demonstration in Jayapura, Provinz Papua, statt. Während die friedlichen Demonstrationen in Salatiga und Yogyakarta reibungslos verliefen, lösten Sicherheitskräfte und Mitglieder nationalistischer Massenorganisationen (ORMAS) in den indonesischen Städten Malang und Ternate die friedlichen Versammlungen auf. Die Polizei reagierte mit Massenverhaftungen, die mutmaßlich von Gewaltakten gegen die Demonstranten begleitet wurden.
Nach den Protesten wurden papuanische Studierenden in den javanischen Städten Semarang und Surabaya Schikanen, Einschüchterungen und rassistischen Handlungen ausgesetzt. Die Vorfälle scheinen nur indirekt mit den Gedenkfeiern zum New Yorker Abkommen in anderen Städten zusammenzuhängen. Dennoch sind sie ein Hinweis auf wachsende Anzeichen von rassistischer Diskriminierung von Papuas durch Sicherheitskräfte und nationalistische Massenorganisationen, insbesondere in mehreren javanischen Städten, in denen in den letzten fünf Jahren wiederholt über solche Handlungen berichtet wurde. In Surabaya drängte sich ein Spezialeinsatzkommando der Polizei in ein Studentenwohnheim, das von Papuas bewohnt wird und verhaftete 43 Studenten, weil einer von ihnen angeblich einen Fahnenmast vor dem Wohnheimgebäude gebrochen und die indonesische Flagge in einen nahegelegenen Straßengraben geworfen hatte.
Viele Menschen in Westpapua verstanden die repressiven Handlungen gegen papuanische Studenten in den Städten Malang, Semarang und Surabaya als Akte der Rassendiskriminierung und reagierten mit Demonstrationen und Unruhen. In Jayapura fand eine friedliche Kundgebung mit etwa 500 Demonstranten statt. Am 19. August 2019 setzten mehrere wütende Demonstranten das lokale Parlamentsgebäude in der Stadt Manokwari, Provinz Papua Barat, in Brand und verbrannten Reifen auf den Straßen.
Malang, Provinz Ost-Java
Am 15. August 2019, gegen 8.30 Uhr, versammelte sich eine Gruppe von papuanischen Studenten an der Kreuzung Rajabali in Malang. Kurz darauf griff eine Gruppe von etwa 40 ORMAS-Mitgliedern die Demonstranten an, warf Steine, trat und schlug sie mit Motorradhelmen und schrie rassistische Beleidigungen wie „Schweine“ und „Affen“. Nach den erhaltenen Informationen zerstreute die Polizei die Menge erst, nachdem sich die papuanischen Studenten verteidigt hatten, was zu Verletzungen bei einem ORMAS-Mitglied führte.
Gegen 9.30 Uhr sollen Polizeibeamte dreizehn Demonstranten verhaftet haben, die nach dem gewaltsamen Überfall geflohen waren und versucht hatten, sich wieder mit den anderen papuanischen Studenten zu treffen. Um 9.40 Uhr setzten die verbleibenden papuanischen Demonstranten die Demonstration mit Reden für etwa 30 Minuten fort, bis Polizeibeamte der Massenkontrolleinheit (DALMAS) und ORMAS-Mitglieder die friedliche Versammlung gewaltsam vertrieben. Anschließend führte die Polizei Verhaftungen durch, die angeblich von Schlägen begleitet waren. Die Beamten zwangen die Demonstranten, in einen Polizeiwagen zu steigen, während ORMAS-Mitglieder Chili auf die papuanischen Studenten warfen. Alle 56 verhafteten Demonstranten wurden um 11.40 Uhr am Busbahnhof Landungsari freigelassen. Neunzehn Studenten aus Papua wurden durch Polizeigewalt (siehe Bild) und die Angriffe von ORMAS-Mitgliedern (siehe Tabelle 1) verletzt.
Tabelle 1: Opfer von Misshandlungen und Folter bei der friedlichen Demonstration in Malang.
Nr |
Name |
Alter |
Zusätzliche Information |
1 |
Pinel Gwijangge |
22 |
Platzwunde an der rechten Seite des Kopfes |
2 |
Awi Pahabol |
22 |
Platzwunde an der rechten Seite des Kopfes |
3 |
Lambentus Woge |
24 |
Tiefe Schnittwunde hinter dem Ohr |
4 |
Warinus Wilil |
23 |
Platzwunde am Hinterkopf |
5 |
Harminus Loho |
20 |
Platzwunde am Kopf und Unterlippe, blutige Nase |
6 |
Pilatus Yusuf |
19 |
Platzwunde an der linken Augenbraue |
7 |
Alsena Gwijangge |
18 |
Platzwunde am rechten Ohr |
8 |
Timinus Gwijangge |
21 |
Prellungen an der Stirn und tiefe Platzwunde hinter dem Ohr |
9 |
Nikson Penggu |
22 |
Platzwunde am Hinterkopf |
10 |
Yulianus Hilapok |
19 |
Platzwunde an der linken Schläfe |
11 |
Daniel Kadepa |
23 |
Platzwunde an der inneren Oberlippe |
12 |
Jeksen |
22 |
Blutende Verletzung am Daumen und Prellungen auf der rechten Seite des Nackens |
13 |
Melki Elopere |
17 |
Blutige Nase |
14 |
Melky Huby |
23 |
Platzwunde am Hinterkopf |
15 |
Anandi Gwijangge |
20 |
Platzwunde an der rechten Schläfe |
16 |
Barto Gwijangge |
21 |
Platzwunde an der rechten Schläfe |
17 |
Opran Gombo |
18 |
Prellungen an der linken Schulter und am Nacken |
18 |
Feri Takimai |
21 |
Prellungen am linken Schienbein |
19 |
Alex Wonda |
20 |
Prellungen unter dem rechten Knie |
20 |
Erince Penggu |
21 |
Kam mit Chili in Kontakt |
21 |
Dani Nawipa |
24 |
Augen kamen mit Chili in Kontakt |
22 |
Jekson Degei |
23 |
Linkes Ohr kam mit Chili in Kontakt |
23 |
Ferry Takimai |
21 |
Nacken und Körper kamen mit Chili in Kontakt |
Ternate, Provinz Nord-Molukken
Am 15. August 2019 versammelten sich Anhänger der AMP und FRI West Papua vor dem Barito Markt in Ternate, um einen friedlichen Protest zum Gedenken an das New Yorker Abkommen zu führen. Nach fünf Minuten verhafteten Polizisten siebzehn Demonstranten. Die Beamten zwangen die Demonstranten, in hockender Position zu gehen und schlugen bei der Verhaftung wiederholt mehrere von ihnen. Ein Demonstrant namens Asmanya Kambu erlitt bei der Verhaftung so schwere Verletzungen, dass er in das allgemeine Krankenhaus von Ternate eingeliefert werden musste. Die anderen sechzehn Demonstranten wurden in das Polizeipräsidium des Bezirks Ternate gebracht, wo sie verhört und später um 19.30 Uhr freigelassen wurden.
Jayapura, Provinz Papua
Am 15. August 2019 versammelten sich Demonstranten an mehreren Orten im Landkreis Jayapura und der Gemeinde Jayapura, um friedlich an das New Yorker Abkommen zu erinnern. Die Polizei verstreute die Menge und verhaftete 106 Demonstranten an verschiedenen Orten (siehe Tabelle 2).
Nr |
Ort der Verhaftung |
Zahl der Verhaftungen |
1 |
Sentani |
55 |
2 |
Abepura |
9 |
3 |
Expo (Waena) |
18 |
4 |
Jayapura Innenstadt |
24 |
Summe |
106 |
Salatiga und Yogyakarta, Provinz Zentral-Java
Am 15. August 2019 organisierten die AMP und FRI West Papua auch friedliche Demonstrationen zum Gedenken an das New Yorker Abkommen in den Städten Yogyakarta und Salatiga. Die Demonstranten in Salatiga forderten zudem den sofortigen Rückzug aller Truppen aus Landkreis Nduga, wo bewaffnete Zusammenstöße zwischen Sicherheitskräften und der West Papua National Liberation Army (TPN-PB) seit Anfang Dezember 2018 zur Vertreibung tausender indigener Menschen geführt haben. Beide Demonstrationen verliefen reibungslos, ohne dass die Polizei oder die ORMAS-Mitglieder eingriffen.
Surabaya, Provinz Ost-Java
Am 15. August 2019, um 9.00 Uhr, kamen Mitglieder der Polizeieinheit für öffentliche Ordnung (Satpol PP) und des Militärs zum papuanischen Studentenwohnheim in Surabaya und hissten die indonesische Flagge vor dem Wohnheim, um sich auf das Gedenken an den Indonesischen Unabhängigkeitstag am 17. August 1945 vorzubereiten.
Am 16. August 2019 kamen die Polizei- und Militärangehörigen erneut in das Wohnheim, um zusätzliche Flaggen vor dem Wohnheimgelände zu hissen. Gegen 15.45 Uhr versammelten sich ein Militärkommandant und mehrere seiner Männer vor dem Wohnheim und behaupteten, dass die Studenten einen der Fahnenmasten gebrochen und anschließend die Flagge in den Straßengraben geworfen hätten. Daraufhin zerbrachen die Militärangehörigen die Plastiktafeln und zogen mehrere Banner ab, die die Studenten zum Schutz der Privatsphäre am Zaun befestigt hatten. Polizisten in Zivil und in Uniform sahen den Vandalismus und griffen nicht ein. Ein Militärangehöriger und ein Ziviloffizier sollen gedroht haben, die Studenten zu töten, wenn sie es wagen, das Wohnheim zu verlassen. Am späten Nachmittag versammelten sich eine größere Anzahl von ORMAS-Mitgliedern vor dem Wohnheim und schrien rassistische Beleidigungen wie „Vieh“, „Hunde“, „Schweine“ und „Affen“. Die ORMAS-Mitglieder drohten, die Studenten zu „schlachten“, wenn sie das Wohnheim verlassen würden. Polizei- und ORMAS-Mitglieder warteten bis in die frühen Morgenstunden vor dem Wohnheim.
Am frühen Morgen des 17. August 2019 wurden zwei Studenten der indonesischen Solidaritätsgruppe „Student Solidarity Group“ und der „Surabaya National Student Front“ verhaftet, als sie versuchten, Wasser und Essen für die eingeschlossenen papuanischen Studenten zum Wohnheim zu bringen. Gegen 13.20 Uhr versammelten sich wieder Mitglieder nationalistischer Massenorganisationen vor dem Wohnheim, schrien rassistische Beleidigungen und Drohungen und sangen die indonesische Nationalhymne. Um 14.40 Uhr brachen Mitglieder des Spezialeinsatzkommandos der Polizei, bewaffnet mit automatischen Gewehren und Schilden, das Vordertor des Wohnheims ein und feuerten mehrere Tränengasgranaten in das Wohnheimgebäude.
Das Spezialeinsatzkommando betrat das Wohnheim und zwang 43 papuanische Studierende mit vorgehaltener Waffe, das Wohnheim in hockender Position zu verlassen. Die Polizei beschlagnahmte ihre Mobiltelefone und zwang die Studenten, in vier Polizeiwagen zu steigen. Auf dem Weg zum Lastwagen sollen die Polizisten die Studierenden getreten und mit bloßen Händen geschlagen haben. Einige Mitglieder des Spezialeinsatzkommandos streichelten zwei Studenten mit Gewehrkolben. Fünf papuanische Studierende wurden bei der Razzia der Polizei verletzt. Die Studierenden wurden zum Polizeipräsidium der Gemeinde Surabaya (Mapolrestabes Suarabaya) gebracht, wo sie festgehalten und verhört wurden. Alle Studierenden wurden gegen Mitternacht entlassen.
No |
Name |
Geschlecht |
Alter |
Zusätzliche Information |
1 |
E.W. |
weiblich |
19 |
Wurde mit der Faust geschlagen |
2 |
N.K. |
männlich |
24 |
Zerrung in der rechten Hand, al sein Polizist in den Polizeibus zwang |
3 |
A.U. |
männlich |
56 |
Prellungen an der Schläfe nachdem er mit einem Gewehrkolben geschlagen wurde |
4 |
K. |
männlich |
23 |
mit einem Gewehrkolben geschlagen |
5 |
F.P. |
männlich |
33 |
Wurde von einer Tränengasgranate am Bein getroffen, als das Sondereinsatzkommando in das Gebäude einbrach |
Semarang, Provinz Zentral-Java
Am 18. August 2019, um 8.15 Uhr kamen ORMAS-Mitglieder, Vertreter der Quartiers- und Unterdistriktverwaltung (RW oder Rukun Warga & RT Rukun Tetangga), Anwohner und Polizisten zum papuanischen Studentenwohnheim in Semarang und befestigten ein Banner am Zaun des Wohnheims mit der Aufschrift „Wir, die Bewohner des Unterbezirks Candi, sind nicht damit einverstanden, dass das Wohnheim West Papua für Aktivitäten genutzt wird, die auf die Trennung Papuas vom Einheitsstaat Indonesien abzielen. Wenn das oben genannte Ereignis eintritt, haben wir uns bereit erklärt, die Anwesenheit von Menschen aus West-Papua im Unterbezirk Candi abzulehnen – Die Einheit des indonesischen Staates ist nicht verhandelbar“ (‚Kami warga Kel. Candi TIDAK setuju Asrama West Papua digunakan untuk kegiatan yang mengarah pemisahan Papua dari NKRI. Jika hal tersebut di atas dilakukan Kami sepakat menolak keberadaan West Papua di Kelurahan Candi – NKRI Harga Mati‘). Die Anwohner schienen das Banner als Reaktion auf die Vorfälle in Malang und Surabaya anzubringen.
Gegen 11.30 Uhr versuchten die Bewohner des Wohnheims vergeblich, mit den Vertretern von RW und RT sowie den Polizisten über die Entfernung des Banners zu verhandeln. Die Polizei und die ORMAS-Mitglieder lehnten den Antrag der Studenten ab. Stattdessen forderten sie, den Studentenausweise der Papuas zu überprüfen und die Namen aller Bewohner des Wohnheims zu dokumentieren. Die lokalen Polizei- und Ormas-Mitglieder verließen das Wohnheim um 12.12 Uhr, nachdem die Vertreter von RW und RT die Identität der Studierenden registriert hatten. Das Banner wurde nicht entfernt.