Seit Anfang Mai berichtet das Westpapua-Netzwerk über die sich verschärfende Situation im Landkreis Puncak. Nachdem Ende April die indonesische Regierung die bewaffneten Kämpfer für die Unabhängigkeit und Freiheit Westpapuas (TPNPB-OPM – die Nationale Befreiungsarmee für Westpapua und die Organisation für die Freiheit Westpapuas) in die Kategorie der terroristischen Organisationen aufgenommen hat, verschärft sich der bewaffnete Konflikt in Westpapua weiter. Die Einordnung der TPNPB-OPM als „Terroristen“ ist eine Reaktion auf den Tod des Geheimdienstchefs der Provinz Papua, Gusti Putu Danny Karya Nugraha, für den die TPNPB die Verantwortung übernahm. Der Aufruf der indonesischen Regierung an das Militär, die Polizei und den Geheimdienst, entsprechende Maßnahmen zu unternehmen, um diese Gruppen in Westpapua zu verfolgen, löst die direkte Gefahr vor weiterer Gewalt und Menschenrechtsverletzungen gegen die Zivilbevölkerung in Westpapua aus.
Inzwischen ist bekannt, dass die Kategorisierung der TPNPB-OPM als „Terroristen“ die Verlagerung von weiteren Militäreinheiten nach Westpapua zur Folge hatte. Sie kann als Rechtfertigung für Menschenrechtsverletzungen an Zivilisten und Straflosigkeit der Sicherheitskräfte dienen. Der universelle Schutz der Menschenrechte für die indigenen Papuas droht durch einen strengeren sicherheitspolitischen Ansatz der Zentralregierung weiter in den Hintergrund zu rücken.
Seit der Ausweitung der Militäroperationen und des anhaltenden bewaffneten Konflikts zwischen den Sicherheitskräften und der TPNPB im Landkreis Puncak sind bereits mehrere Papuas willkürlich verhaftet, getötet oder schwer verletzt worden.
Ende April 2021 verhafteten Sicherheitskräfte willkürlich den indigenen Papua Jesius Wenda, 24. Während seiner Vernehmung wurde er Berichten zufolge gefoltert. Herr Jesius Wenda erlitt durch die Folterungen Prellungen an der Schläfe, eine blutende Nase, Schnittwunden an beiden Lippen und Prellungen unter beiden Augen. Die Mitglieder der Sicherheitskräfte ließen Herrn Wenda frei, nachdem sie seinen Personalausweis und einen Studentenausweis in seiner Netztasche gefunden hatten.
Am 16. Mai wurde der papuanische Pastor Rev. Laban Hagabal im Dorf Demaju bei einem Angriff der Sicherheitskräfte getötet. Pastor Hagabal flüchtete einen Tag zuvor mit vielen anderen Dorfbewohnern aus seinem Dorf, welches zum Ziel eines bewaffneten Angriffs der Sicherheitskräfte wurde, der von Bodentruppen und mit Unterstützung von Hubschraubern aus der Luft durchgeführt wurde.
Am 3. Juni 2021 töteten vermutlich Mitglieder der TPNPB einen Bauarbeiter namens Herr Habel Halenti im Dorf Eromage, Distrikt Omukia. Am 4. Juni 2021, um 5.00 Uhr morgens, rief der Vorsteher des Dorfes Nipuralome, Herr Patianus Kogoya, 45, die Dorfbewohner in Nipuralome auf, ihre Habseligkeiten zu sammeln, ihre Häuser zu verlassen und in einem Lager Schutz zu suchen. Herr Kogoya trug seine Beamtenuniform, um sicherzustellen, dass die Sicherheitskräfte ihn und die Dorfbewohner nicht mit Mitgliedern der TPNPB verwechseln würden.
Laut Zeugenaussagen wurden Herr Patianus Kogoya, seine Frau Frau Paitena Murib, 43, und sein Bruder Herr Erialek Kogoya, 55, von einer Gruppe von Sicherheitsleuten vor dem Dorfbüro angesprochen. Die Gruppe bestand aus Mitgliedern des 613 Raider Battalion/ Garuda Raja Alam und des Battalion 315 Garuda Infantry Unit, die zur Nemangkawi Task Force gehören. Ein Mitglied des Militärs fragte Herrn Patunis Kogoya nach seinem Ausweis. Herr Kogoya antwortete, er sei das Dorfoberhaupt. Als Herr Kogoya seinen Ausweis vorlegte, sollen die Offiziere der Sicherheitskräfte den Ausweis zerrissen und die drei einheimischen Zivilisten mit Schusswaffen hingerichtet haben. Die Opfer waren auf der Stelle tot.
Zeugen gaben an, dass die Mitglieder der Sicherheitskräfte wahllos das Feuer auf die Dorfbewohner eröffneten. Dabei verletzten sie drei Personen, Frau Arni Murib Wanimbo, Herrn Yudes Wanimbo und den fünfjährigen Mendinus Murib. In Panik versteckten sich die Dorfbewohner in den umliegenden Gärten und Wäldern, bis sich die Situation beruhigt hatte, bevor sie in anderen Dörfern Schutz suchten.
Die Militäroperationen haben zur Folge, dass mehrere tausend Papuas ihre Häuser und Dörfer in Puncak verlassen mussten und sich somit die Zahl der Binnenflüchtlinge (IDPs), die vor dem bewaffneten Konflikt in ihrem eigenen Land auf der Flucht sind, nur noch weiter erhöht. Inzwischen schätzen Beobachter, dass die Gesamtzahl der IDPs allein im Landkreis Puncak 35.000 erreicht hat.