Der neue Rundbrief 2/2011 ist erschienen

Nach Überwindung des Suharto-Regimes 1998 stellte Indonesien seine Menschenrechtspolitik auf eine neue Basis. Ein Menschenrechtsgesetz und ein Gesetz über Menschenrechtsgerichtshöfe wurden verabschiedet, die nationale Menschenrechtskommission wurde mit zusätzlichen Kompetenzen ausgestattet und das Justizministerium in das Ministerium für Justiz und Menschenrechte überführt. Auf Ebene der VN trat Indonesien den beiden Menschenrechtspakten bei und unterzeichnete eine Reihe wichtiger Konventionen, darunter die Antifolterkonvention.
Im Rahmen der Mitgliedschaft in der ASEAN beteiligt sich Indonesien am Aufbau einer transnationalen Menschenrechtskommission. Mit verschiedenen Staaten, darunter die Schweiz, Norwegen und die EU, ist Indonesien in einen Menschenrechtsdialog getreten.
Auch in der Praxis ergaben sich spürbare Verbesserungen, beispielsweise in den Bereichen Pressefreiheit, Versammlungsfreiheit und dem Recht auf freie Meinungsäußerung. Bei genauerem Hinsehen zeigt sich, dass einige der genannten Regelwerke eher der Kosmetik dienen als einer konsequenten Umsetzung von Menschenrechtsprinzipien. Augenfällig ist, dass die Gesprächsbereitschaft der indonesischen Regierung (GoI) zu solchen Themen am größten ist, die am wenigsten mit Interessen der politischen Eliten kollidieren.
So zeigte GoI bspw. Interesse im Rahmen des Menschenrechtsdialogs mit der EU über die Situation in Gefängnissen und über das Jugendstrafrecht zu sprechen.
Wer jedoch Menschenrechtsverletzungen in Zusammenhang mit dem Regimewechsel 1965/66 oder aktuelle Fälle in Papua anspricht, riskiert als „Kommunist“ oder „Separatist“ stigmatisiert zu werden.
Straflosigkeit und die Menschenrechtslage in Papua sind unverändert zwei der gravierendsten Probleme. Alarmierend sind jüngere Entwicklungen rund um den Komplex Religions- und Glaubensfreiheit.

Folter
Zwei Mal fanden im vergangenen Jahr Videoaufnahmen von grausamen Folterszenen in Papua ihren Weg ins Internet, wo sie weltweit für Entsetzen sorgten. Es ist augenscheinlich, dass diese Fälle nur die Spitze eines Eisberges sind.
Indonesien hat die Antifolterkonvention der VN unterschrieben, die Ratifizierung steht jedoch noch aus. Gegenwärtig ist Folter kein Straftatbestand. Eine umfassende Novellierung des Strafgesetzbuches verzögert sich seit mehreren Jahren. Sind die Täter – wie im Beispiel der genannten Videos – Angehörige des Militärs, so unterliegen sie der Militärgerichtsbarkeit, die ebenfalls keine Verurteilung wegen Folter kennt. Dies hat zur Folge, dass Täter – wenn überhaupt – lediglich wegen Disziplinarvergehen zur Verantwortung gezogen werden, die mit wenigen Monaten Haft belegt sind.

Recht und Gesetz / Straflosigkeit
Verschiedene Justizskandale haben das geringe Vertrauen der Bevölkerung in Recht und Gesetz massiv beeinträchtigt. Die Weigerung des Bürgermeisters der Großstadt Bogor, ein Urteil des Obersten Gerichtshofes umzusetzen, welches vorschreibt einen Kirchenneubau (GKI Yasmin) zur Nutzung freizugeben, blieb bislang ohne Konsequenz. GoI besteht nicht darauf, dass höchstrichterlichen Urteilen Folge zu leisten ist. Gerichtsurteile, welche die Verhältnismäßigkeit der Mittel nicht wahren, untergraben das Rechtsbewusstsein in der Bevölkerung. Grundlegende Rechtsstandards werden verletzt, wenn die Anwendung von Folter nur mit wenigen Monaten, eine friedliche Aktion wie das Aufziehen einer verbotenen Flagge aber mit einer langjährigen Haftstrafe belegt wird.
Mit großer Besorgnis ist zu werten, dass die Täter eines gewaltsamen Angriffs auf die religiöse Minderheit der Ahmadiyah zu nur wenigen Monaten Haft verurteilt wurden, während ein Opfer für sechs Monate hinter Gitter muss.
Nachdem der Menschenrechtsverteidiger Munir 2004 auf dem Flug nach Amsterdam an einer Arsenvergiftung verstorben war, erklärte Präsident Susilo Bambang Yudhoyono die Aufklärung des Falles zur Chefsache. Er setzte eine Untersuchungskommission ein, die wichtige Indizien zu Tage förderte. Der Tatausführende wurde zu einer längeren Haftstrafe verurteilt. Doch der Prozess gegen einen mutmaßlichen Auftraggeber, Geheimdienstgeneral Muchdi, verlief im Sande. Wichtige Zeugen wurden nicht gehört, weil sie der Ladung zur Anhörung nicht Folge leisteten. Verfahren gegen weitere Verdächtige wurden niemals eröffnet. Dennoch sieht GoI den Fall mittlerweile als „abgeschlossen“ an.
Vor und nach dem Abtritt Suhartos demonstrierten 1998 tausende Studenten auf den Straßen Jakartas. Einige bezahlten mit ihrem Leben, als an der Kreuzung von Semanggi das Feuer auf sie eröffnet wurde. Entsprechend der Ermittlungen der nationalen Menschenrechtskommission (Komnas HAM) ist der Fall als schwere Menschenrechtsverletzung i.S.d.G. zu werten, was die Einrichtung eines Ad-hoc Menschenrechtsgerichtshofes zur Folge haben könnte. Hierzu bedarf es eines Parlamentsbeschlusses und der Erhebung einer Anklage durch den Generalstaatsanwalt.
Parlament und Generalstaatsanwaltschaft schieben sich seit Jahren gegenseitig die Verantwortung zu. 2009 verabschiedete das Parlament eine Resolution zum Schicksal der 1997/98 Verschwundenen, die als hoffnungsvoller Schritt begrüßt wurde. GoI hat die empfohlenen Schritte zur Einrichtung eines Ad-hoc Gerichtshofes bislang nicht umgesetzt.

Aceh
Das MoU von Helsinki erwies sich als geeignet, den über Jahrzehnte andauernden gewaltsamen Konflikt zwischen der Unabhängigkeitsbewegung GAM und den indonesischen Streitkräften zu beenden. Die Umsetzung der im MoU enthaltenen Vereinbarungen zur Aufarbeitung der Vergangenheit steht aus. Sechs Jahre nach dem verheerenden Tsunami sind die meisten Projekte internationaler Organisationen abgeschlossen und die Provinz muss nun auf eigenen Füßen stehen. Vor den anstehenden Gouverneurswahlen zeichnet sich ein Konflikt zwischen Fraktionen der ehemaligen Unabhängigkeitsbewegung ab, der bereits mehrere Todesopfer forderte. Eine Begleitung des Prozesses durch externe Beobachter könnte konfliktmindernd wirken. Im Rahmen der Sonderautonomie wurde in Aceh als einziger Provinz Indonesiens die Scharia eingeführt. Ein vom Provinzparlament verabschiedetes Gesetz sieht Strafen wie Handamputation für Diebe und Steinigung für EhebrecherInnen vor. Diesem Gesetz verweigert der amtierende Gouverneur bislang seine Unterschrift. Schon jetzt werden aber außereheliche Verhältnisse, Alkoholkonsum oder Glücksspiel durch öffentliche Auspeitschung bestraft. Eine Scharia-Polizei (Wilayatul Hisbah) wacht über die Einhaltung der Vorschriften. Ihre Methoden erinnern häufig an Mob- und Lynchjustiz. Die ausgeübte Praxis der Scharia verstößt gegen die Menschenrechte, gegen die indonesische Verfassung (UUD 45) und nicht zuletzt auch gegen die Vorschriften des Islam.

Religionsfreiheit
Bürgerkriegsähnlichen Konflikte zwischen religiösen Gruppen, die vor zehn Jahren auf den Molukken und in Zentralsulawesi Tausende von Menschenleben kosteten, bestimmen aktuell nicht die Situation. An ihre Stelle ist eine deutlich gesteigerte Religiosität in weiten Teilen der Gesellschaft getreten, die mit Polarisierung und Radikalisierung einhergeht. In vielen Provinzen und Kommunen wurden von der Scharia inspirierte Regelungen erlassen, wie z.B. Kleidungsvorschriften. Diese Regeln stehen in Widerspruch zur Verfassung, aber es sind keine Bemühungen seitens GoI erkennbar, dem Wildwuchs strenger Regelungen ein Ende zu setzen. Radikale islamistische Gruppen wie z.B. FPI (Front Pembela Islam) oder Hizbut Tahrir genießen mitnichten Sympathie und Zustimmung der moderaten muslimischen Bevölkerungsmehrheit. Doch weder Vertreter der Politik, noch des Islam oder anderer gesellschaftlicher Gruppen treten diesen Gruppen und ihren Aktivitäten offen entgegen. Indes sorgt die Macht des Faktischen für eine stetig wachsende Akzeptanz gegenüber diesen Gruppen. Religiöse Minderheiten wie Ahmadiyah oder Baha’i und soziale Minderheiten wie LGBT (Lesben, Schwule, Bi- und Transsexuelle) müssen praktisch jederzeit auf tätliche Angriffe gewappnet sein. Auch Christen, Buddhisten und andere nicht-islamische Gruppen sehen sich zunehmend der Gefahr gewaltsamer Übergriffe und zunehmender Schikane durch Behörden ausgesetzt, beispielsweise bei Genehmigungsverfahren für neue Kirchen oder Tempel. Der Angriff auf die Ahmadiyah in Cikeusik, Banten, vom 06. Februar 2011, bei dem drei Menschen brutal getötet wurden, zeigt, dass GoI seiner obersten Pflicht, dem Schutz der körperlichen Unversehrtheit aller Staatsbürger, nicht nachkommt. Sowohl die Verfassung (UUD 45) als auch der Internationale Pakt über Bürgerliche und Politische Rechte, dem Indonesien beigetreten ist, verpflichten GoI zur Religions- und Glaubensfreiheit. Zahlreiche Gesetze und Dekrete verstoßen gegen diese Grundsätze. Das (novellierte) Blasphemiegesetz von 1965 erkennt nur sechs Religionen ausdrücklich an. Ein Dekret aus dem Jahre 2008 illegalisiert die Ahmadiyah und gibt eine Legitimationsbasis für Übergriffe.

Papua
Die Menschenrechtslage in Papua (i.e. die Provinzen Papua und Westpapua) ist äußerst Besorgnis erregend. Die Sonderautonomie gilt weithin als gescheitert und es kommt zu einer Verhärtung der Fronten. Politische Entwicklungen (anstehende Gouverneurswahlen, Bildung und Besetzung der „zweiten Parlamentskammer“ MRP, fortschreitende Bildung immer neuer Landkreise und Provinzen usw.) sowie anstehende Bergbau- und Plantagenprojekte sorgen für neues Konfliktpotential horizontaler und vertikaler Art. Die hohe Militärpräsenz ist in den Augen vieler Papua bereits für sich genommen ein Mittel der Einschüchterung. Zahlreiche Fälle von offener Diskriminierung, Festnahmen, gewaltsamen Übergriffen und Folter von Gefangenen zementieren dieses Bild. Internationalen Organisationen, Journalisten und sogar Politikern bleibt der Zugang nach Papua verwehrt. GoI widerspricht mit dieser Praxis der eigenen Sichtweise von Papua und Westpapua als „ganz normalen“ indonesischen Provinzen. Das staatliche Institut für Wissenschaft und Forschung (LIPI) verfügt über hervorragende Analysen der Probleme Papuas, auf deren Grundlage eine „road map“ für eine dialogische Lösung erarbeitet wurde.

WSK-Rechte
52% der IndonesierInnen, also ca. 125 Mio. Menschen fallen nach Angaben des World Food Program’s (WFP) unter die Armutsgrenze von 2 US$ pro Tag. Urbane Arme werden häufig Opfer der Stadtentwicklung. Ihr Recht auf Wohnung wird ignoriert. Siedler, Bettler und andere werden kriminalisiert.

Menschenrechte und Umwelt
Die größte Anzahl von Menschenrechtsverletzungen geschieht in Zusammenhang mit der Ausbeutung der Naturressourcen. Institutionalisierte Gewalt aufgrund der Wirtschaftspolitik und – Gesetzgebung führt zu Vertreibungen und gewaltsamer Umsiedlung. Die Missachtung der Indigenenrechte, einschließlich des Rechtes auf Nahrung, und ethnische Diskriminierung sind Verletzungen der WSKRechte. Außerdem reagiert der Staat bei konkreten Konflikten häufig mit Gewalt.

Empfehlungen:
Der VN-Menschenrechtsrat, die EU und die Bundesregierung sollen darauf hinwirken, dass
• GoI umgehend die Antifolterkonvention ratifiziert und Folter wirksam unter Strafe stellt, sowie dem Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) beitritt,
• gesetzgeberische, juristische und administrative Ursachen, die zu Straflosigkeit beitragen, systematisch erfasst und ausgeräumt werden, • bei Gerichtsurteilen die Verhältnismäßigkeit der Mittel gewahrt wird und alle Staatsbürger Gesetzen und Gerichtsurteilen Folge zu leisten haben,
• GoI und die politischen Kontrahenten in der Provinz Aceh eine Langzeitbeobachtung der anstehenden Gouverneurswahlen zulassen,
• die Regierung Acehs Akte der Selbstjustiz durch die Scharia-Polizei (Wilayatul Hisbah) strikt unterbindet,
• GoI konsequent gegen verfassungsfeindliche scharia-inspirierte Regelungen einschreitet,
• Staat und Regierung dafür Sorge tragen, dass sich sämtliche Staatsbürger des Schutzes der körperlichen Unversehrtheit ihrer Person sicher sein können,
• GoI Gesetze und Praktiken ändert, um die Religions- und Glaubensfreiheit in Übereinstimmung mit dem Internationalen Pakt über Bürgerliche und Politische Rechte (ICCPR) zu bringen,
• GoI den Sonderberichterstatter für Religions- und Glaubensfreiheit des UN-Menschenrechtsrats einlädt,
• GoI einen ernsthaften und offenen Dialog mit Papua zur Lösung des Konfliktes führt, die Militärpräsenz reduziert und Menschenrechtsverletzungen adressiert.
• internationale Organisationen, Journalisten und Politiker freien Zugang nach Papua haben,
• GoI seine internationalen Verpflichtungen einhält, einschließlich des UN-Paktes zu politischen und bürgerlichen Rechten, des UN-Paktes zu wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechten, des UN-Paktes zur Eliminierung rassischer Diskriminierung und des UN-Paktes zur Eliminierung der Diskriminierung von Frauen
• GoI die UN-Erklärung zu den Rechten Indigener Völker beachtet und diskriminierende Gesetze und Praktiken revidiert.
• Der UN-Sonderberichterstatter zur Lage der Menschenrechte und grundlegenden Freiheiten indigener Völker und der UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung Indonesien besuchen und über die Folgen von Großplantagen und Bergbau auf Indigene berichten.

Sie können den Bericht auch downloaden bei www.watchindonesia.org.

Nach Überwindung des Suharto-Regimes 1998 stellte Indonesien seine Menschenrechtspolitik auf eine neue Basis. Ein Menschenrechtsgesetz und ein Gesetz über Menschenrechtsgerichtshöfe wurden verabschiedet, die nationale Menschenrechtskommission wurde mit zusätzlichen Kompetenzen ausgestattet und das Justizministerium in das Ministerium für Justiz und Menschenrechte überführt. Auf Ebene der VN trat Indonesien den beiden Menschenrechtspakten bei und unterzeichnete eine Reihe wichtiger Konventionen, darunter die Antifolterkonvention.
Im Rahmen der Mitgliedschaft in der ASEAN beteiligt sich Indonesien am Aufbau einer transnationalen Menschenrechtskommission. Mit verschiedenen Staaten, darunter die Schweiz, Norwegen und die EU, ist Indonesien in einen Menschenrechtsdialog getreten.
Auch in der Praxis ergaben sich spürbare Verbesserungen, beispielsweise in den Bereichen Pressefreiheit, Versammlungsfreiheit und dem Recht auf freie Meinungsäußerung. Bei genauerem Hinsehen zeigt sich, dass einige der genannten Regelwerke eher der Kosmetik dienen als einer konsequenten Umsetzung von Menschenrechtsprinzipien. Augenfällig ist, dass die Gesprächsbereitschaft der indonesischen Regierung (GoI) zu solchen Themen am größten ist, die am wenigsten mit Interessen der politischen Eliten kollidieren.
So zeigte GoI bspw. Interesse im Rahmen des Menschenrechtsdialogs mit der EU über die Situation in Gefängnissen und über das Jugendstrafrecht zu sprechen.
Wer jedoch Menschenrechtsverletzungen in Zusammenhang mit dem Regimewechsel 1965/66 oder aktuelle Fälle in Papua anspricht, riskiert als „Kommunist“ oder „Separatist“ stigmatisiert zu werden.
Straflosigkeit und die Menschenrechtslage in Papua sind unverändert zwei der gravierendsten Probleme. Alarmierend sind jüngere Entwicklungen rund um den Komplex Religions- und Glaubensfreiheit.

Folter
Zwei Mal fanden im vergangenen Jahr Videoaufnahmen von grausamen Folterszenen in Papua ihren Weg ins Internet, wo sie weltweit für Entsetzen sorgten. Es ist augenscheinlich, dass diese Fälle nur die Spitze eines Eisberges sind.
Indonesien hat die Antifolterkonvention der VN unterschrieben, die Ratifizierung steht jedoch noch aus. Gegenwärtig ist Folter kein Straftatbestand. Eine umfassende Novellierung des Strafgesetzbuches verzögert sich seit mehreren Jahren. Sind die Täter – wie im Beispiel der genannten Videos – Angehörige des Militärs, so unterliegen sie der Militärgerichtsbarkeit, die ebenfalls keine Verurteilung wegen Folter kennt. Dies hat zur Folge, dass Täter – wenn überhaupt – lediglich wegen Disziplinarvergehen zur Verantwortung gezogen werden, die mit wenigen Monaten Haft belegt sind.

Recht und Gesetz / Straflosigkeit
Verschiedene Justizskandale haben das geringe Vertrauen der Bevölkerung in Recht und Gesetz massiv beeinträchtigt. Die Weigerung des Bürgermeisters der Großstadt Bogor, ein Urteil des Obersten Gerichtshofes umzusetzen, welches vorschreibt einen Kirchenneubau (GKI Yasmin) zur Nutzung freizugeben, blieb bislang ohne Konsequenz. GoI besteht nicht darauf, dass höchstrichterlichen Urteilen Folge zu leisten ist. Gerichtsurteile, welche die Verhältnismäßigkeit der Mittel nicht wahren, untergraben das Rechtsbewusstsein in der Bevölkerung. Grundlegende Rechtsstandards werden verletzt, wenn die Anwendung von Folter nur mit wenigen Monaten, eine friedliche Aktion wie das Aufziehen einer verbotenen Flagge aber mit einer langjährigen Haftstrafe belegt wird.
Mit großer Besorgnis ist zu werten, dass die Täter eines gewaltsamen Angriffs auf die religiöse Minderheit der Ahmadiyah zu nur wenigen Monaten Haft verurteilt wurden, während ein Opfer für sechs Monate hinter Gitter muss.
Nachdem der Menschenrechtsverteidiger Munir 2004 auf dem Flug nach Amsterdam an einer Arsenvergiftung verstorben war, erklärte Präsident Susilo Bambang Yudhoyono die Aufklärung des Falles zur Chefsache. Er setzte eine Untersuchungskommission ein, die wichtige Indizien zu Tage förderte. Der Tatausführende wurde zu einer längeren Haftstrafe verurteilt. Doch der Prozess gegen einen mutmaßlichen Auftraggeber, Geheimdienstgeneral Muchdi, verlief im Sande. Wichtige Zeugen wurden nicht gehört, weil sie der Ladung zur Anhörung nicht Folge leisteten. Verfahren gegen weitere Verdächtige wurden niemals eröffnet. Dennoch sieht GoI den Fall mittlerweile als „abgeschlossen“ an.
Vor und nach dem Abtritt Suhartos demonstrierten 1998 tausende Studenten auf den Straßen Jakartas. Einige bezahlten mit ihrem Leben, als an der Kreuzung von Semanggi das Feuer auf sie eröffnet wurde. Entsprechend der Ermittlungen der nationalen Menschenrechtskommission (Komnas HAM) ist der Fall als schwere Menschenrechtsverletzung i.S.d.G. zu werten, was die Einrichtung eines Ad-hoc Menschenrechtsgerichtshofes zur Folge haben könnte. Hierzu bedarf es eines Parlamentsbeschlusses und der Erhebung einer Anklage durch den Generalstaatsanwalt.
Parlament und Generalstaatsanwaltschaft schieben sich seit Jahren gegenseitig die Verantwortung zu. 2009 verabschiedete das Parlament eine Resolution zum Schicksal der 1997/98 Verschwundenen, die als hoffnungsvoller Schritt begrüßt wurde. GoI hat die empfohlenen Schritte zur Einrichtung eines Ad-hoc Gerichtshofes bislang nicht umgesetzt.

Aceh
Das MoU von Helsinki erwies sich als geeignet, den über Jahrzehnte andauernden gewaltsamen Konflikt zwischen der Unabhängigkeitsbewegung GAM und den indonesischen Streitkräften zu beenden. Die Umsetzung der im MoU enthaltenen Vereinbarungen zur Aufarbeitung der Vergangenheit steht aus. Sechs Jahre nach dem verheerenden Tsunami sind die meisten Projekte internationaler Organisationen abgeschlossen und die Provinz muss nun auf eigenen Füßen stehen. Vor den anstehenden Gouverneurswahlen zeichnet sich ein Konflikt zwischen Fraktionen der ehemaligen Unabhängigkeitsbewegung ab, der bereits mehrere Todesopfer forderte. Eine Begleitung des Prozesses durch externe Beobachter könnte konfliktmindernd wirken. Im Rahmen der Sonderautonomie wurde in Aceh als einziger Provinz Indonesiens die Scharia eingeführt. Ein vom Provinzparlament verabschiedetes Gesetz sieht Strafen wie Handamputation für Diebe und Steinigung für EhebrecherInnen vor. Diesem Gesetz verweigert der amtierende Gouverneur bislang seine Unterschrift. Schon jetzt werden aber außereheliche Verhältnisse, Alkoholkonsum oder Glücksspiel durch öffentliche Auspeitschung bestraft. Eine Scharia-Polizei (Wilayatul Hisbah) wacht über die Einhaltung der Vorschriften. Ihre Methoden erinnern häufig an Mob- und Lynchjustiz. Die ausgeübte Praxis der Scharia verstößt gegen die Menschenrechte, gegen die indonesische Verfassung (UUD 45) und nicht zuletzt auch gegen die Vorschriften des Islam.

Religionsfreiheit
Bürgerkriegsähnlichen Konflikte zwischen religiösen Gruppen, die vor zehn Jahren auf den Molukken und in Zentralsulawesi Tausende von Menschenleben kosteten, bestimmen aktuell nicht die Situation. An ihre Stelle ist eine deutlich gesteigerte Religiosität in weiten Teilen der Gesellschaft getreten, die mit Polarisierung und Radikalisierung einhergeht. In vielen Provinzen und Kommunen wurden von der Scharia inspirierte Regelungen erlassen, wie z.B. Kleidungsvorschriften. Diese Regeln stehen in Widerspruch zur Verfassung, aber es sind keine Bemühungen seitens GoI erkennbar, dem Wildwuchs strenger Regelungen ein Ende zu setzen. Radikale islamistische Gruppen wie z.B. FPI (Front Pembela Islam) oder Hizbut Tahrir genießen mitnichten Sympathie und Zustimmung der moderaten muslimischen Bevölkerungsmehrheit. Doch weder Vertreter der Politik, noch des Islam oder anderer gesellschaftlicher Gruppen treten diesen Gruppen und ihren Aktivitäten offen entgegen. Indes sorgt die Macht des Faktischen für eine stetig wachsende Akzeptanz gegenüber diesen Gruppen. Religiöse Minderheiten wie Ahmadiyah oder Baha’i und soziale Minderheiten wie LGBT (Lesben, Schwule, Bi- und Transsexuelle) müssen praktisch jederzeit auf tätliche Angriffe gewappnet sein. Auch Christen, Buddhisten und andere nicht-islamische Gruppen sehen sich zunehmend der Gefahr gewaltsamer Übergriffe und zunehmender Schikane durch Behörden ausgesetzt, beispielsweise bei Genehmigungsverfahren für neue Kirchen oder Tempel. Der Angriff auf die Ahmadiyah in Cikeusik, Banten, vom 06. Februar 2011, bei dem drei Menschen brutal getötet wurden, zeigt, dass GoI seiner obersten Pflicht, dem Schutz der körperlichen Unversehrtheit aller Staatsbürger, nicht nachkommt. Sowohl die Verfassung (UUD 45) als auch der Internationale Pakt über Bürgerliche und Politische Rechte, dem Indonesien beigetreten ist, verpflichten GoI zur Religions- und Glaubensfreiheit. Zahlreiche Gesetze und Dekrete verstoßen gegen diese Grundsätze. Das (novellierte) Blasphemiegesetz von 1965 erkennt nur sechs Religionen ausdrücklich an. Ein Dekret aus dem Jahre 2008 illegalisiert die Ahmadiyah und gibt eine Legitimationsbasis für Übergriffe.

Papua
Die Menschenrechtslage in Papua (i.e. die Provinzen Papua und Westpapua) ist äußerst Besorgnis erregend. Die Sonderautonomie gilt weithin als gescheitert und es kommt zu einer Verhärtung der Fronten. Politische Entwicklungen (anstehende Gouverneurswahlen, Bildung und Besetzung der „zweiten Parlamentskammer“ MRP, fortschreitende Bildung immer neuer Landkreise und Provinzen usw.) sowie anstehende Bergbau- und Plantagenprojekte sorgen für neues Konfliktpotential horizontaler und vertikaler Art. Die hohe Militärpräsenz ist in den Augen vieler Papua bereits für sich genommen ein Mittel der Einschüchterung. Zahlreiche Fälle von offener Diskriminierung, Festnahmen, gewaltsamen Übergriffen und Folter von Gefangenen zementieren dieses Bild. Internationalen Organisationen, Journalisten und sogar Politikern bleibt der Zugang nach Papua verwehrt. GoI widerspricht mit dieser Praxis der eigenen Sichtweise von Papua und Westpapua als „ganz normalen“ indonesischen Provinzen. Das staatliche Institut für Wissenschaft und Forschung (LIPI) verfügt über hervorragende Analysen der Probleme Papuas, auf deren Grundlage eine „road map“ für eine dialogische Lösung erarbeitet wurde.

WSK-Rechte
52% der IndonesierInnen, also ca. 125 Mio. Menschen fallen nach Angaben des World Food Program’s (WFP) unter die Armutsgrenze von 2 US$ pro Tag. Urbane Arme werden häufig Opfer der Stadtentwicklung. Ihr Recht auf Wohnung wird ignoriert. Siedler, Bettler und andere werden kriminalisiert.

Menschenrechte und Umwelt
Die größte Anzahl von Menschenrechtsverletzungen geschieht in Zusammenhang mit der Ausbeutung der Naturressourcen. Institutionalisierte Gewalt aufgrund der Wirtschaftspolitik und – Gesetzgebung führt zu Vertreibungen und gewaltsamer Umsiedlung. Die Missachtung der Indigenenrechte, einschließlich des Rechtes auf Nahrung, und ethnische Diskriminierung sind Verletzungen der WSKRechte. Außerdem reagiert der Staat bei konkreten Konflikten häufig mit Gewalt.

Empfehlungen:
Der VN-Menschenrechtsrat, die EU und die Bundesregierung sollen darauf hinwirken, dass
• GoI umgehend die Antifolterkonvention ratifiziert und Folter wirksam unter Strafe stellt, sowie dem Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) beitritt,
• gesetzgeberische, juristische und administrative Ursachen, die zu Straflosigkeit beitragen, systematisch erfasst und ausgeräumt werden, • bei Gerichtsurteilen die Verhältnismäßigkeit der Mittel gewahrt wird und alle Staatsbürger Gesetzen und Gerichtsurteilen Folge zu leisten haben,
• GoI und die politischen Kontrahenten in der Provinz Aceh eine Langzeitbeobachtung der anstehenden Gouverneurswahlen zulassen,
• die Regierung Acehs Akte der Selbstjustiz durch die Scharia-Polizei (Wilayatul Hisbah) strikt unterbindet,
• GoI konsequent gegen verfassungsfeindliche scharia-inspirierte Regelungen einschreitet,
• Staat und Regierung dafür Sorge tragen, dass sich sämtliche Staatsbürger des Schutzes der körperlichen Unversehrtheit ihrer Person sicher sein können,
• GoI Gesetze und Praktiken ändert, um die Religions- und Glaubensfreiheit in Übereinstimmung mit dem Internationalen Pakt über Bürgerliche und Politische Rechte (ICCPR) zu bringen,
• GoI den Sonderberichterstatter für Religions- und Glaubensfreiheit des UN-Menschenrechtsrats einlädt,
• GoI einen ernsthaften und offenen Dialog mit Papua zur Lösung des Konfliktes führt, die Militärpräsenz reduziert und Menschenrechtsverletzungen adressiert.
• internationale Organisationen, Journalisten und Politiker freien Zugang nach Papua haben,
• GoI seine internationalen Verpflichtungen einhält, einschließlich des UN-Paktes zu politischen und bürgerlichen Rechten, des UN-Paktes zu wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechten, des UN-Paktes zur Eliminierung rassischer Diskriminierung und des UN-Paktes zur Eliminierung der Diskriminierung von Frauen
• GoI die UN-Erklärung zu den Rechten Indigener Völker beachtet und diskriminierende Gesetze und Praktiken revidiert.
• Der UN-Sonderberichterstatter zur Lage der Menschenrechte und grundlegenden Freiheiten indigener Völker und der UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung Indonesien besuchen und über die Folgen von Großplantagen und Bergbau auf Indigene berichten.

Sie können den Bericht auch downloaden bei www.watchindonesia.org.