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Pasifika ist neues Mitglied von War Resisters International (Foto: DFG-VK)

„Nein. Westpapua ist nicht sicher“ – Interview mit zwei gewaltfreien Aktivist*innen des neuen WRI-Mitglieds Pasifika

Dieses Interview ist auf der Website der Deutschen Friedensgesellschaft – Vereinigte Kriegsdienstgegner*innen e.V. erschienen. Hier geht es zur Online-Version der Verbandszeitung ZivilCourage der DFG-VK.

West-Papua – eine 50jährige Besatzungsgeschichte und gewaltfreier Auf- und Widerstand. Die 2005 gegründete Nichtregierungsorganisation Pasifika arbeitet an der Stärkung der gewaltfreien Bewegung für ein freies West-Papua. Bei der Konferenz in Bogotá wurde sie nun Mitglied der War Resisters´ International. David Scheuing, DFG-VK-Vertreter bei der WRI, führte mit zwei Pasifika-Aktiven auf schriftlichem Weg dieses Interview. Zu ihrem Schutz werden die Nachnamen von Rosa und Jason nicht veröffentlicht.

Nachdem die indonesische Regierung im September größere Truppenkontingente nach West-Papua verlegte und die Internetverbindungen kappte, ist es um so wichtiger, direkte Informationen zu erhalten und Unterstützung zu organisieren.

Mehr über den Fall von West Papua hier: https://wri-irg.org/en/story/2019/call-solidarity-west-papua und v.a. über Twitter-Kanäle/Hashtags von Aktivist*innen weltweit: https://twitter.com/search?q=%23WestPapua&src=tyah

 

Ihr musstet euch die letzten zwei Wochen verstecken, um überhaupt über die Militäroffensive in West-Papua berichten zu können. Was waren eure Eindrücke der letzten Tage?

Danke David, es tut gut, mit dir darüber sprechen zu können. Wir freuen uns über deine Solidarität mit uns und die von anderen DFG-VK-Mitgliedern sowie aus der Friedens- und von antimilitaristischen und gewaltfreien Bewegungen. Diese Verbindungen sind so wichtig, vor allem an einem Ort wie West-Papua, der auch eine „Geheimgeschichte“ ist. Hier werden selbst die internationalen Medien vom indonesischen Militär draußen gehalten, und wir Aktivistinnen fühlen uns manchmal ganz schön allein gelassen.

Vielleicht sollten wir damit anfangen, eure Leser*innen überhaupt erst einmal über West-Papua aufzuklären. Das Land liegt im Westen der Insel Neuguinea. Es ist ein Teil des Pazifiks, wurde aber 1963 gewaltsam vom indonesischen Staat besetzt, als die Vereinten Nationen gegen den Willen der Bewohner*innen West-Papuas quasi die Kontrolle direkt an den indonesischen Staat übergaben. Die Menschen in West-Papua haben schwarze Haut und krauses Haar – sie gehören zu den Melanesier*innen, so wie die Menschen Papua-Neuguineas. Die Situation hier ist ähnlich der in Osttimor vor der Unabhängigkeit.

Ich, Rosa, lebe in West-Papua, Jason lebt in Australien, kommt aber regelmäßig hierher und nach Indonesien. Ich lebe in Jayapura, der Hauptstadt, und reise recht regelmäßig in die anderen Landesteile und ins Ausland – als Teil meiner Arbeit, die Bewegung aufzubauen und zu stärken.

Diese letzten Wochen waren sehr schwierig. Schon vor dem Aufstand gab es viel Polizei und Militär in West-Papua, seit dem Aufstand jedoch wurden mehr als 8 000 Mann zusätzlicher Kampftruppen aus anderen Teilen Indonesiens nach West-Papua verlegt. Selbst beim täglichen Gang zum Bäcker sieht man jetzt Polizei und Militär in voller Kampfmontur.

Zudem ist jetzt auch die Miliz – die von der indonesischen Polizei und Militär trainiert, bewaffnet und organisiert wurde – offen in Erscheinung getreten.

Was hier grade passiert, ist wie Osttimor 1999.

 

Derzeit eskaliert die Situation in West-Papua. Der Beginn scheint aus meiner Außenperspektive ein Protest von Studierenden gewesen zu sein, die dann festgenommen wurden. Aber was sind denn die wahren Ursprünge der jetzigen Bewegung?

Die Einwohner*innen West Papuas haben schon immer Widerstand gegen die indonesische Kolonialherrschaft gezeigt, selbst in den frühen 1960er Jahren. Dort liegen die Ursprünge des Aufstandes.

 

Die Menschen stehen gegen die Unterdrückung des indonesischen Staates auf. Aber wie sind sie organisiert? Welche Protestformen verwenden sie und wie effektiv ist das?

Der Widerstand im Land ist im überwältigenden Teil gewaltfrei. Anfangs wurde er von Studierenden und jungen Menschen angeführt. Meine Kolleg*innen und ich zählten gewaltfreie Demonstrationen in 22 Städten überall in West-Papua, selbst an sehr abgelegenen Orten. Es gab bis zu 40 Kilometer lange Märsche. In den großen Städten wie Jayapura, Manokwari und Sorong gab es einen totalen Kollaps wegen der schieren Maße an Menschen auf den Straßen, die sich weigerten, wieder zu gehen.

In Jayapura wurde das Parlamentsgebäude besetzt, und am Anfang befand sich auch der Gouverneur, ein Papuaner, unter den Demonstrant*innen – als Unterstützung. In Sorong und vielen anderen Orten wurde die indonesische Flagge eingeholt, sorgsam gefaltet und den Behörden zurückgegeben. Überall ließen die Menschen die „Morning Star“-Flagge hissen, das west-papuanische Symbol der Unabhängigkeit.

In Manokwari, Fak Fak und Wamena gab es gewaltsame Prozesse. Dies geschah durch unidentifizierte Mobs. Alle organisierten Gruppen waren bislang dagegen diszipliniert und gewaltfrei.

Und obwohl indonesische Milizen Papuaner*innen töteten, kamen bislang keine indonesischen Zivilist*innen durch Papuaner*innen ums Leben. Leider wurden zwei Soldat*innen getötet, aber keine Zivilist*innen. Das braucht Disziplin, vor allem, da die Proteste ja nicht perfekt geplant und durchgeführt wurden.

Seit Beginn der Proteste wurden mehr als 40 unserer Freund*innen und Kolleg*innen verhaftet – die Polizei verfolgt gezielt die Führung der gewaltfreien Gruppen. Die meisten von ihnen wurden wegen Hochverrats angeklagt, worauf hier die Todesstrafe steht.

Ob die Proteste effektiv sind, ist schwer zu sagen, da wir ja noch mitten im Aufstand sind. Wir müssen noch mehr Menschen involvieren und strategischer vorgehen. Der Aufstand war ja weitgehend spontan, und es gab keinen klaren Plan. Wir müssen uns auch international organisieren.

 

Das indonesische Militär und einige aus der „Zivilgesellschaft“ haben die Aufstände ja relativ schnell als gewaltsam bezeichnet. Gleichzeitig sind Videos davon aufgetaucht, wie Menschen aus der „Zivilgesellschaft“ auf Protestierende einprügeln. Wer steckt denn hinter dieser seltsamen Allianz? Ist die organisiert? Ist das ein echtes soziales Thema, das dahinter steckt?

Ja, natürlich. In Indonesien wird der Aufruf zur Selbstbestimmung als Akt der Gewalt betrachtet, als Ausdruck des Hochverrates. Aber wenn die Polizei oder das Militär einen gewaltfrei Protestierenden, der die „Morning Star“- Flagge trägt, erschießen, dann bezeichnet man das als Verteidigung des Staates. Wir müssen also genau aufpassen, wer was sagt. Es ist kein ethnischer Konflikt, sondern ein Kampf gegen die Besetzung und gegen das koloniale Regime.

 

Welche Rolle spielen Rassismus und andere sich damit überschneidende Diskriminierungen?

Rassismus ist der Kern dieses Konfliktes. Der indonesische Staat behandelt die West-Papuaner*innen, als wären sie halbe Tiere. Wenn Rosa und ich in Indonesien unterwegs sind, begegnen uns durchschnittliche Indonesier*innen regelmäßig mit rassistischen Kommentaren. Sie denken, dass wir sie nicht verstehen können, weil ich weiß bin, und sie denken, dass Rosa aus „Afrika“ kommt.

Rassismus ist eine alltägliche Erfahrung für jede*n einzelne*n Papuaner*in. Viele Indonesier*innen denken, dass die Papuaner*innen weniger wert sind als sie. Wir werden konstant als faul, dreckig und schlimmeres bezeichnet. Und wenn Persipura, das Papuansche Fußballteam, in Indonesien spielt, werfen die Zuschauer*innen regelmäßig Bananenschalen aufs Spielfeld und beschimpfen unsere Leute als Affen.

 

In Surabaya gingen die Attacken auf West-Papuaner*innen los, nachdem angeblich eine indonesische Flagge „misshandelt“ wurde. Das scheint mir eine ziemlich nationalistische Antwort zu sein, einen Protest deshalb zu unterdrücken, weil er ein nationales Symbol „missbraucht“.

Oh ja! Indonesien ist ein ziemlich nationalistisches Land. Wir wissen nicht genau, was da in Surabaya passiert ist, aber angeblich wurde die indonesische Flagge in den Rinnstein geworfen. Als diese Geschichte bekannt wurde, umringte die indonesische Polizei, das Militär und Milizen das Studierendenwohnheim und kesselte die Studierenden ein. Sie hießen die Studierenden „Schweine“ und „Affen“, warfen Steine und drohten, sie „zu schlachten“. Dann feuerte die Polizei Tränengasgranaten und Gummigeschosse, trat die Türen ein und verhaftete 43 Menschen. Das startete den Aufstand im ganzen Land.

 

Ich frage mich, wie wir den west-papuanschen Aufstand und den Ruf nach Freiheit besser verstehen können. Die Menschen fürchten immer, dass Befreiungsbewegungen an sich nationalistisch sind. Das sehe ich hier gar nicht so. Aber wie können wir denn diese antirassistische, antikoloniale Befreiungshaltung von einem gewalttätigen Nationalismus, wie ihn der indonesische Staat an den Tag legt, unterscheiden?

Das ist ´ne gute Frage und ganz schwer zu beantworten. Ein erster Unterschied könnte darin gemacht werden, wie die Leute für ihre Sache streiten. Ja, in West-Papua gibt es bewaffneten Kampf. Diese Gruppen sind auch Teil des Widerstandes. Sie leben irgendwo im Dschungel und in den Bergen. Das sind einige wenige und lange nicht so aktiv, wenn man das mit dem gewaltfreien Widerstand vergleicht, der die treibende Kraft hinter dem Widerstand ist. Der gewaltfreie Kampf besteht aber nicht nur aus Demos, Streiks, Blockaden, Besetzungen und anderen gewaltfreien Taktiken. Es gibt auch eine kulturelle Dimension dabei, wir singen, tanzen, trommeln, spielen Musik und lachen.

Die Menschen holen sich ihren Stolz zurück und ihr Selbstbewusstsein als indigene Bevölkerung. Das ist der Kern des Kampfes, und die Menschen holen sich diese Dimension zurück, was dem Aufstand noch einen völlig anderen Charakter gibt. Die Menschen wissen, wer sie sind, sie wissen, dass sie Papuaner*innen mit schwarzer Haut und krausem Haar sind. Sie wissen, dass West-Papua ihr Land ist. Sie wissen, dass es ihnen gewaltsam genommen wurde. Das übersetzt sich in Furchtlosigkeit und eine leise, aber nicht unterdrückbare Überzeugung, frei sein zu wollen.

 

Ihr ruft als Pasifika dazu auf, gewaltfreie direkte Aktionen zu machen, oder ist das gar nicht notwendig? Welchen Einfluss habt ihr denn eigentlich überhaupt auf die Proteste?

Als Pasifika haben wir seit fast 15 Jahren Menschen in gewaltfreier Aktion, dem Aufbau einer Bewegung, Strategisierung und zivilgesellschaftlicher Medienarbeit trainiert. In den letzten Jahren hat sich die Bewegung vereinigt, und es gab geordnetere, strategische Massenaktionen. Aber das machen die Menschen von selbst, das kommt nicht von uns. Wir sind da, um zu unterstützen, zu ermutigen, zu trainieren, Leute zusammenzubringen, Menschen Raum zur Reflexion zu geben und um unser Können und unser Wissen weiterzugeben.

 

Haben die Menschen irgendeine Chance, in der derzeitigen Situation „sicher“ zu sein?

Nein, West-Papua ist nicht sicher. Es ist kein sicherer Ort für irgendeine*n Papuaner*in. Um ganz ehrlich zu sein, dann fühlen sich die meisten von uns eher so, dass wir sogar bedroht sind, als Volk als Ganzes zu verschwinden. Das ist unsere größte Sorge. Dass die Welt nur dabei zusieht, wie der indonesische Staat uns ausrottet und ausländische Unternehmen unser Land und unsere Ressourcen stehlen.

 

Der Unabhängigkeitskampf in West-Papua und die indonesische Antwort darauf wirken so ähnlich wie der Fall von Timor-Leste/Osttimor.

Ja, es ist ziemlich ähnlich. Darum brauchen wir eure Solidarität. Wir brauchen internationale Aktionen, um das indonesische Militär und die Regierung zur Zurückhaltung zu zwingen, so wie die Menschen das für Osttimor erreicht haben.

 

Der indonesische Staat hat West-Papua ein Jahr nach seiner formellen Unabhängigkeit damals besetzt. Warum ist er – immer noch – an West-Papua interessiert?

Hauptsächlich, weil er unsere Ressourcen will. Er braucht die Papuaner*innen nicht, er braucht unser Land und unsere Ressourcen. Es gibt also auch eine ökonomische Dimension in diesem Konflikt, da die meisten Ressourcen nicht nur von den Unternehmenseliten, sondern auch durch die indonesischen Sicherheitskräfte kontrolliert werden.

 

Welche Rolle spielen Südkorea, Australien, die Nato-Länder, vor allem Deutschland, in diesem Konflikt?

Alle diese Länder sind Teil des Problems, weil sie die Besetzung West-Papuas durch die indonesische Regierung unterstützen. Was ihr in Deutschland schaffen müsst, ist, eure Regierung davon abzuhalten, die indonesische Polizei zu trainieren und zu bewaffnen, die der größte staatliche Gewaltakteur ist.

 

In Deutschland gibt es eine große Kampagne gegen Waffenexporte…

Da brauchen wir eure Hilfe! Wir wissen, dass Deutschland in der Vergangenheit ein großer Waffenexporteur nach Indonesien war. Wir gehen davon aus, dass das immer noch der Fall ist, aber ihr müsst das untersuchen.

 

Wie können wir also euren Kampf von außen unterstützen?

Den ersten Schritt machst du gerade schon: Helft dabei, den Widerstand nach außen sichtbar zu machen, vor allem auch den gewaltfreien Widerstand, der so oft übersehen wird. Deine Überlegung, den Kampf in West-Papua mit eurer Waffenexport-Kampagne zu verknüpfen, ist eine gute Idee.

 

Wann seid ihr gegründet worden und was sind die Ziele?

Es gibt uns seit 2005, um den gewaltfreien Kampf für die Selbstbestimmung zu begleiten. Wir arbeiten mit allen Widerstandsgruppen aus West-Papua, die gewaltfreie Aktionen verwenden, oder daran interessiert sind. Unser Zugang hat fünf Dimensionen: Das Strategiepotenzial erweitern durch Training und Bildungsveranstaltungen, die Bewegung ausbauen, Einheit zu schaffen, indem wir mit allen Gruppen arbeiten und sie zusammenbringen, wann immer es möglich ist, die gewaltfreie Überzeugung vertiefen und indem wir daran arbeiten, die „Story“ zu verändern – indem wir die gewaltfreie Bewegung und wie die Papuaner*innen an die Hoffnung glauben stärken. Die fünf Kernprinzipien, nach denen wir agieren, sind: Gewaltfreiheit, Selbstbestimmung, Nichtintervention – in unseren Workshops erzählen wir den Menschen nicht, was oder wie sie etwas tun sollen, sondern wir räumen den Raum ein, dass Menschen herausfinden, was sie selber machen wollen –, Unparteilichkeit – wir arbeiten mit allen Freiheitsparteien – und Arbeit auf Einladung sowie Rechenschaft – wir arbeiten nur dort, wo wir eingeladen wurden, und sind den Communities, Gruppen und Menschen gegenüber Rechenschaft schuldig, die uns einladen, mit ihnen zu arbeiten.