Dieser Artikel gibt einen Überblick über eine Reihe von Gerichtsprozessen nach den papuaweiten Anti-Rassismus-Protesten zwischen Ende August und Ende September 2019, welche eine Welle der Kriminalisierung von Menschenrechtsverteidigern und politischen Aktivisten nach sich zog. Zuvor hatte das Westpapua-Netz eine erste Zusammenfassung der Gerichtsprozesse zwischen Mitte Dezember 2019 und dem 22. Januar 2020 auf er Webseite veröffentlicht. Dieser Artikel fast die wichtigsten Entwicklungen in den Prozessen zwischen Mitte Januar und Mitte Februar zusammen.
Milde Gefängnisstrafen für drei Angeklagte in Surabaya
Das Bezirksgericht in Surabaya hat drei Angeklagte für schuldig befunden, die sich wegen Hassrede gegen Papuastudenten vor Gericht verantworten mussten. Die rassistisch motivierten Übergriffe gegen Papuastudenten in den javanischen Städten Surabaya und Malang hatten in Westpapua zahlreiche Proteste gegen Rassismus ausgelöst – einige davon endeten in Gewaltausbrüchen und Übergriffen von Sicherheitsbeamten auf Demonstranten. Die Urteile für die drei Angeklagten waren jedoch vergleichsweise niedrig. Alle Gefängnisstrafen waren niedriger als das von der Staatsanwaltschaft geforderte Strafmaß. Die Strafe für die ehemalige Legislativkandidatin der ultra-konservativen ‘Gerindra‘ Partei, Tri Susanti, und Syamsul Arifin, einem Beamten einer lokalen Ordnungspolizeieinheit ‚Satpol PP‘ waren gemessen an dem gesetzlich festgelegten Maximalstrafen besonders milde.
• Am 30. Januar 2020, verurteilten Richter den Angeklagten Syamsul Arifin wegen Verstoßes gegen Artikel 16 des Gesetzes 40/2008 für die Beseitigung von rassistischer und ethnischer Diskriminierung für schuldig. Er hatte vor dem Studentenwohnheim in Surabaya rassistische Äußerungen und Hassreden verbreitet und wurde zu einer Freiheitsstrafe von fünf Monaten sowie einer Geldstrafe von einer Millionen Rupiah (etwa € 67) verurteilt. Zuvor hatte der Staatsanwalt eine Freiheitsstrafe von acht Monaten gefordert. Beide Strafen sind weitaus niedriger als das gesetzlich festgelegte Maximalstrafmaß von fünf Jahren Gefängnis und einer Geldstrafe von fünfhundert Millionen Rupiah (etwa € 33,400). Arifin wurde noch am Tag der Urteilsverkündung entlassen.
• Am 3. Februar 2020, wurde die Angeklagte Tri Susanti wegen Verstoßes gegen Artikel 14 (1) des Gesetzes 1/1946 für strafrechtliche Verordnungen für schuldig befunden. Sie wurde zu einer Freiheitsstrafe von sieben Monaten verurteilt. Zuvor hatte der Staatsanwalt eine Freiheitsstrafe von zwölf Monaten gefordert. Beide Strafen sind weitaus niedriger als das gesetzlich festgelegte Maximalstrafmaß von zehn Jahren Gefängnis. Sie hatte während einem Medieninterview Papuastudenten öffentlich beschuldigt einen Masten mit der indonesischen Flagge zerstört und die Fahne „beschmutzt“ zu haben.
• Am 30 Januar 2020, wurde der Angeklagte Andria Ardiansyah wegen Verstoßes gegen Artikel 15 des Gesetzes zur Beseitigung von rassistischer und ethnischer Diskriminierung schuldig gesprochen. Er wurde zu einer Freiheitsstrafe von zehn Monaten verurteilt. Zuvor hatte der Staatsanwalt ebenfalls eine Freiheitsstrafe von zwölf Monaten gefordert. Auch in diesem Fall war die Strafe niedriger als das gesetzlich festgelegte Maximalstrafmaß von zwei Jahren Gefängnis. Ardiansyah hatte mit seinem YouTube-Kanal ein Video mit Inhalten von Hassbotschaften gegen die papuanischen Studenten verbreitet.
Verhandlungen im Zusammenhang mit Gewaltausbrüchen in Jayapura
Gegenwärtig finden am Bezirksgericht Jayapura mehrere Gerichtsverfahren im Zusammenhang mit den Unruhen in Jayapura am 29. August 2019 statt. Einige Verfahren endeten bereits mit Haftstrafen für die Angeklagten. Die Untersuchung der Angeklagten ergab in mehreren Fällen, dass Polizeibeamte Folter während der Untersuchungshaft verwendet hatten um Geständnisse zur erzwingen. Die Zeugenaussagen spiegeln das weitverbreitete Problem von Folter in Westpapua wider, auf welches NGOs und Menschenrechtsaktivisten immer wieder aufmerksam machen.
Siebzehn Angeklagte, nämlich Elo Hubi, Ary Asso, Ruvinus Tambanop, Ronald Wandik, Yusuf Marthen Moai, Jony Weya, Persiapan Kogoya, Mikha Asso, Dorty Kawena, Yali Loho, Pandra Wenda, Ferius Entama, Agustinus Lisak Mohi, Oktovianus Hisage, Piter Meraudje, Vinsent Kalvin Dogopiau und Yan Piet Suramaja wurden mittlerweile aus der Haft entlassen, weil die in der Strafprozessordnung gesetzlich festgelegte Maximalhaftdauer abgelaufen war. Die Verhandlungen gegen die 17 Angeklagten finden jedoch weiter am Bezirksgericht in Jayapura statt.
Einer der Angeklagten namens Dolfinus Hisage sagte vor Gericht aus, dass Polizeibeamten ihn willkürlich verhaftet hatten. Dolfinus Hisage hatte eine Gruppe Studenten vom Campus der Cenderawasih Universität zur eigentlichen Demonstration in Jayapura geführt und dabei Parolen gegen Rassismus gerufen. Er wurde daraufhin wegen Verstoß gegen Artikel 160 des indonesischen Strafgesetzbuches (KUHP) angeklagt. Der Artikel regelt die Straftat der Aufhetzung. Polizeibeamte schlugen Dolfinus und zwangen ihn anschließend ein Geständnis zu unterschreiben. Er hatte zudem gesehen, wie Polizeibeamte andere Demonstranten während der Untersuchungshaft misshandelt hatten. Der Prozess wird mit der Vernehmung weiterer Zeugen fortgesetzt.
Am 29. Januar 2020 sprachen Richter Wilem Walilo wegen Verstoß gegen Artikel 2 (1) des Notstandsgesetzes 12/ 1951 für schuldig. Er wurde zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt. Der Staatsanwalt hatte eine Freiheitstrafe von zwölf Monaten gefordert. Wilem Walilo wurde am 30. August 2019 bei einer Polizeikontrolle verhaftet, weil er eine Machete mit sich trug. Eigenen Angaben zu Folge war er auf dem Weg zu seinem Schweinestall, wo er die Machete brauchte um das Futter für seine Tiere vorzubereiten.
Zuvor war ein anderer Angeklagter namens Lanti Nipsan ebenfalls zu einer Freiheitstrafe von sechs Monaten verurteilt worden. Nipsan wurde ebenfalls unter dem gleichen Artikel des Notstandsgesetzes angeklagt wie Wilem Walilo. Polizeibeamte hatten bei der Festnahme eine scharfe Waffe bei Nipsan gefunden.
Ein weiterer Fall dieser Art gegen Yan Piet Suramaja wird derzeit ebenfalls am Bezirksgericht in Jayapura verhandelt. Die Polizei verhaftete ihn, weil er bei den Unruhen am 29. August 2019 an Akten des Vandalismus beteiligt gewesen sein soll. Der Staatsanwalt forderte eine Freiheitstrafe von acht Monaten für Suramaja. Dem Polizeibericht zu Folge sollen beamten ihn mit einer Axt und einer Morgensternflagge in der Tasche verhaftet haben.
In einem weiteren Gerichtsverfahren gegen Yosam Wenda und Yoda Tabuni plädierten die Anwälte auf Freispruch für die Angeklagten. Beide Angeklagten sollen bei den Unruhen Computer und eine Tastatur aus dem Büro des Gouverneurs geklaut haben. Die Anwälte argumentierten, dass die Polizeibeamten bei der Festnahme keine Beweisstücke für die Tat vorfanden und es keine Zeugen für den angeblichen Diebstahl gab. In der vorhergehenden Verhandlung hatte der Staatsanwalt eine Freiheitstrafe von zwölf Monaten für die Angeklagten gefordert.
Im Gerichtsprozess gegen Oktavianus Hisage plädierten die Anwälte ebenfalls auf Freispruch. Hisage hatte behauptet während der Untersuchungshaft auf dem Polizeirevier gefoltert und gezwungen worden zu sein ein Geständnis zu unterschreiben, dem zu Folge er einen Laptop aus dem Gouverneursbüro entwendet haben soll. Auch hier hatte der Staatsanwalt zwölf Monate Freiheitsentzug für Hisage gefordert.
Neben den zuvor genannten Prozessen finden zwei weitere Verfahren wegen Diebstahl in Verbindung mit den Unruhen im August 2019 am Jayapura Bezirksgericht statt. In dem Prozess gegen Yorgen Aibui und Valerio Yaas hatte der Staatsanwalt eine Freiheitsstrafe von acht Monaten gefordert. In einem anderen Verfahren gegen die Angeklagten Vinsent Kalvin Dogopia und Piter Meraudje forderte er jeweils sieben Monate Gefängnis.
Update zur Situation von sieben politischen Gefangenen in Kalimantan
Die sieben politischen Aktivisten Fery Kombo, Alexander Gobay, Hengki Hilapok, Buchtar Tabuni, Irwanus Uropmabin, Stevanus Itlay und Agus Kossay befinden sich weiterhin in Ost-Kalimantan in Polizeihaft.
Einige der Angeklagten kämpfen weiterhin mit gesundheitlichen Problemen während der Haft. Ende Januar 2020 hatten Anwälte erwähnt, dass mehrere ihrer Mandanten Blut erbrochen hätten obwohl sie währen der Haft ärztliche Versorgung erhalten hatten. Der bedenkliche Gesundheitszustand einiger Angeklagter sei eine Folge der Verlegung der Haft von Jayapura nach Balikpapan, so die Anwälte. In Jayapura hätten sich die Familien der Angeklagten täglich um die Aktivisten kümmern können. Die Anwälte und Angeklagten fordern weiterhin eine Verlegung des Gerichtsverfahrens von Ost-Kalimantan nach Westpapua – die Forderung wurde von Mitgliedern des Provinzparlaments in Papua (DPRP) sowie Mitgliedern des Volksrates in Papua (Majelis Rakyat Papua, MRP) unterstützt.
Die erste Verhandlung fand am 11. Februar 2020 am Bezirksgericht Balikpapan statt.
Update im Gerichtsprozess gegen sechs Pro-Papua Aktivisten in Jakarta
Das Gerichtsverfahren gegen die Pro-Papua Aktivisten Surya Anta, Charles Kossay, Isay Wenda, Arina Lokbere und Ambrosius Mulait am Bezirksgericht von Zentral-Jakarta geht weiter. In der ersten Anklage hat die Staatsanwaltschaft die sechs Aktivisten wegen dem Verstoß zweier Artikel angeklagt, nämlich Artikel 106 KUHP in Verbindung mit Artikel 55, 1(1), welche das Mitwirken an Akten des Hochverrats (‚makar‘) regeln. In der zweiten Anklage sind die Aktivisten mit Artikel 110 (1) KUHP angeklagt. Der Artikel beschreibt die Straftat der Verschwörung gegen den Staat. Demonstranten mit Morgensternflaggen – dem kulturellen Wahrzeichen Westpapuas und Emblem der Unabhängigkeitsbewegung – hatten sich am 28. August 2019 vor dem Präsidentenpalast in Jakarta versammelt um friedlich gegen die rassistischen Übergriffe in Java zu demonstrieren. Die Aktivisten wurden verhaftet obwohl sie die friedliche Demonstration zuvor polizeilich gemeldet hatten, wie es das indonesische Gesetz verlangt.
Im späten Januar hatten Richter den Einspruch gegen die Anklage abgelehnt und mit der Befragung erster Zeugen begonnen. Seitdem haben zwei Zeugen der Staatsanwaltschaft vor Gericht ausgesagt. Einer der Zeugen war der Vorsitzende der nationalistischen Organisation ‚Laskar Merah Putih‘ (Die Rot-Weißen Krieger), Adek Erfil Manurung.
Manurung hatte Anzeige gegen die Aktivisten erstattet nachdem er ein Video in den sozialen Medien erhalten hatte welches die Protestaktion vor dem Staatspalast zeigte. Er argumentierte, dass das Schwenken der Morgensternflagge ein Akt des Separatismus sei. Die Staatsanwaltschaft befragte auch den stellvertretenden Polizeichef von Ost-Jakarta, Arie Ardian Rishadi, als Zeugen vor Gericht. Rishadi war persönlich anwesend, als die Demonstration stattfand. Er sagte aus, dass Demonstranten die Morgensternflagge schwenkten und dabei lautstark ein Referendum forderten.
Update in Prozessen gegen Studenten nach Straßenschlacht in Waena am 23 September 2019
Zwölf Studenten müssen sich in vier Prozessen am Bezirksgericht in Jayapura verantworten. Sie waren nach einer Straßenschlacht zwischen Sicherheitsbeamten und Studenten in Waena am 23. September 2019 verhaftet worden. In allen Prozessen lehnten die Richter den Einspruch gegen die Anklage ab und fuhren mit der Befragung von Zeugen fort.
Im Verfahren gegen Bedira Tabuni, Alpon Meku, Pailes Yigibalom, Biko Kogoya und Tenak Waker, wurde ein Polizeibeamter als erster Zeuge befragt. Er konnte weder bezeugen, dass die Angeklagten bei der Demonstration auf dem Cenderawasih Universitätsgelände, noch bei der darauffolgenden Straßenschlacht in Waena mitgewirkt hatten.
In einem zweiten Prozess gegen Yogi Wenda, Jumbrif Kogoya, Elimus Bayage und Maya Kamarigi wurden am 4. Februar 2020 ebenfalls weitere Zeugen untersucht.
In einem dritten Verfahren gegen Abua Yikwa und Yadu Kogoya wurden die ersten Zeugen angehört. Auch hier konnten die Zeugen das Mitwirken der Angeklagten bei den Gewaltausbrüchen in Waena nicht bestätigen.
Selbiges traf auf die Zeugen in dem Prozess gegen Abraham Dote zu. Abraham soll während der Straßenschlacht an der Plünderung eines Ladens beteiligt gewesen sein. Zeugen konnten dies im bisherigen Verhandlungsverlauf nicht bestätigen. Abraham Dote ist der einzige unter den zwölf Angeklagten welcher zusätzlich mit den Artikeln 160 KUHP (Aufhetzung /Anstiftung zu einer Straftat) und/oder Artikel 187 KUHP (vorsätzliche Brandstiftung) und/oder Artikel 365 KUHP (gewalttätiger Diebstahl) angeklagt wurde. Am 10. Februar 2020 wurden in dem Prozess weitere Zeugen befragt.
Prozesse gegen Menschenrechtsaktivisten in Manokwari
Ende November 2019 wurde in Manokwari ein Prozess gegen den Aktivisten Septinus Meidodga eingeleitet. Ihm wurde Verstoß gegen Artikel 28 (2) in Verbindung mit Artikel 45A (2) des elektronischen Informations- und Transaktionsgesetzes (ITE Gesetz) vorgeworfen. Die Behörden behaupten Meidodga habe Hassreden als Reaktion auf die rassistischen Angriffe gegen Papuastudenten in Ost-Java auf seinem Facebook-Konto verbreitet. Die Richter verurteilten Septinus Meidodga zu vier Monaten und 20 Tagen Haft. Er wurde am 6. Februar 2020 aus der Haft entlassen (siehe Foto zu diesem Artikel). Zuvor hatte die Staatsanwaltschaft eine Freiheitsstrafe von sieben Monaten und 20 Tagen für Meidodga gefordert.
Drei weitere Aktivisten aus Manokwari, nämlich Erik Aliknoe, Yunus Aliknoe und Pende Mirin, warten derzeit in der Haftanstalt der Papua Barat Regionalpolizei auf den Beginn ihres Prozesses. Sie wurden verhaftet, weil sie während der Anti-Rassismus-Proteste in Manokwari Kundgebungen organisiert und geleitete hatten. Die Polizei hatte ein Strafverfahren wegen Verstoß gegen die Artikel 106 KUHP und 110 KUHP wegen angeblichen Hochverrats und Verschwörung gegen die drei Aktivisten eingeleitet. Die Anklage nennt zudem Artikel 160 KUHP, welcher die Aufhetzung bzw. Anstiftung zu einer Straftat strafrechtlich definiert. Die erste Verhandlung wurde vom Bezirksgericht Manokwari für den 6. Februar 2020 geplant.