Das Sicherheitsministerium Indonesiens hat seine Ankündigung wahr gemacht, und Kämpfer für die Unabhängigkeit und Freiheit Westpapuas als „Terroristen“ eingestuft. Am frühen Nachmittag des 29.04.2021 gab der koordinierende Minister für Sicherheit, Politik und Rechtsangelegenheiten Mahfud MD offiziell bekannt, dass „bewaffnete kriminelle Gruppen (KKB)“ in Papua in die Kategorie der terroristischen Organisationen aufgenommen worden seien. Die indonesische Regierung gebrauchte in der Vergangenheit verstärkt den Begriff „bewaffnete kriminelle Gruppen (KKB)“ für die bewaffneten Kämpfer für die Unabhängigkeit und Freiheit Westpapuas, also die TPNPB-OPM (die Nationale Befreiungsarmee für Westpapua und die Organisation für die Freiheit Westpapuas). Mit der Bezeichnung als „Terroristen“ sind damit also genau diese Unabhängigkeits- und Freiheitskämpfer – sofern bewaffnet – der TPNPB-OPM gemeint.
„Die Regierung ist der Ansicht, dass Organisationen und Personen in Papua, die die weit verbreitete Gewalt begehen, als Terroristen eingestuft werden“, sagte Mahfud während einer Pressekonferenz, die am Donnerstag auf dem YouTube-Kanal des Ministeriums geteilt wurde. Mahfud sagte auch, dass die Regierung in Übereinstimmung mit einer früheren Erklärung des Sprechers der Beratenden Volksversammlung (MPR) Bambang Soesatyo und anderer Leiter staatlicher Institutionen handel, die erklärten, dass „bewaffnete kriminelle Gruppen“ brutale und weit verbreitete Gewalt in Papua ausüben.
Mahfud behauptete, dass nicht wenige Persönlichkeiten aus dem sozialen, religiösen und regionalen Bereich sowie Mitglieder des Regionalen Repräsentantenhauses (DPRD) in Papua die Büros des Koordinationsministeriums für Sicherheit, Politik und Rechtsangelegenheiten besucht haben, um ihre Unterstützung anzubieten.
„(Sie gaben) der indonesischen Regierung ihre Unterstützung, Maßnahmen zu ergreifen, die notwendig sind, um mit der Gewalt, die in letzter Zeit in Papua aufgetreten ist, umzugehen.“, sagte er. Die indonesische Regierung hat die Sicherheitskräfte angewiesen, bewaffnete Gruppen in Papua zu verfolgen. „Die Regierung bittet die Polizei, das Militär (TNI), das BIN (Staatlicher Geheimdienst) und die damit verbundenen Beamten, sofort entschlossene und durchgreifende Maßnahmen im Sinne des Gesetzes zu ergreifen“, sagte Mahfud.
Die Vereinigte Befreiungsbewegung für Westpapua (ULMWP) hat die Entscheidung der indonesischen Regierung kritisiert. Der Exekutivdirektor der ULMWP, Markus Haluk, sagte, dass die Regierung der papuanischen Nation oft bestimmte Etiketten anhefte, die, so Haluk, absichtlich geschaffen werden.
„Die Begriffe KKB („bewaffnete kriminelle Gruppen“), GPK („Sicherheitsstörungsgruppen“) und so weiter sind Begriffe, die vom indonesischen Kolonialismus, der TNI [indonesisches Militär] und der Polri [indonesische Polizei] geschaffen wurden. Das papuanische Volk erkennt also nichts davon an“, sagte Haluk am Donnerstag, den 29. April, gegenüber CNN Indonesia. Haluk sagte, dass die Nationale Befreiungsarmee für Westpapua (TPNPB) und die Organisation für die Freiheit Westpapuas (OPM) aus einem humanitären Kampf heraus geboren wurden und dass sie sich gegen humanitäre Verbrechen und systematische rassistische Politik wenden.
Laut Haluk kämpfen die TPNPB, die OPM und die papuanische Nation auch für Selbstbestimmung, was er auf eine Stufe mit dem Kampf von Indonesiens Gründungspräsident Sukarno und Vizepräsident Mohammad Hatta und ihren Genossen gegen den holländischen Kolonialismus stellte. „Das, wofür die papuanische Nation im Moment kämpft, ist Teil dessen, wofür einst Sukarno und Hatta gegen den holländischen Kolonialismus kämpften, beginnend 1908, 1928, bis es im August 1945 [mit der Unabhängigkeitserklärung] seinen Höhepunkt erreichte“, sagte er.
Haluk sagte, sie seien nicht besorgt über das Manöver der Regierung, die Unabhängigkeitsbewegung der Papua als Terroristen abzustempeln und versicherte, dass dies den Kampf zur Befreiung der papuanischen Nation nicht beeinflussen werde.
Der Gouverneur von Papua, Lukas Enembe, forderte die indonesische Regierung auf, die Einstufung als „Terroristen“ zu überprüfen. Enembe fürchte, dass die Einstufung der TPNPB-OPM als Terroristen einen psychosozialen Einfluss auf die Papua-Bevölkerung haben würde, besonders auf diejenigen, die außerhalb Papuas leben. „Wir befürchten, dass dies ein neues Stigma für die Papuas, die außerhalb Papuas leben, schaffen wird“, sagte Enembe in einer schriftlichen Erklärung am Donnerstag.
„Die Regierung der Provinz Papua fordert die Zentralregierung und das Repräsentantenhaus auf, die Einstufung der bewaffneten kriminellen Gruppe als terroristische Gruppe neu zu bewerten. Es muss eine umfassende Studie geben, die die sozialen, rechtlichen und wirtschaftlichen Auswirkungen der Kennzeichnung auf die Papuas im Allgemeinen berücksichtigt,“ sagte Enembe.
Enembe sagte, dass Terrorismus ein Konzept sei, das ständig in Recht und Politik diskutiert werde. Deshalb, so Enembe, sei die Objektivität des Staates gefragt, wenn es darum gehe, einer Gruppe das Etikett Terrorismus zu verleihen. Er forderte die indonesische Regierung außerdem auf, sich in dieser Angelegenheit mit dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen zu beraten.
Amnesty International ist nur eine von vielen NGOs, die den Schritt der indonesischen Regierung, die Freiheits- und Unabhängigkeitskämpfer Westpapuas als „Terroristen“ zu bezeichnen, stark kritisiert. Usman Hamid, der Leiter des indonesischen Büros von Amnesty sagte, er bedauere den Schritt der Regierung, diese Gruppen in Papua als terroristisch zu bezeichnen. Laut Hamid sollte sich die Regierung stattdessen auf die Untersuchung von Menschenrechtsverletzungen und die Beendigung der außergerichtlichen Tötungen in Papua konzentrieren.
„Die Regierung sollte sich darauf konzentrieren, diese Fälle zu untersuchen und die Tötungen ohne Gerichtsverfahren und andere Menschenrechtsverletzungen durch Strafverfolgungsbehörden in Papua und Papua Barat zu beenden, anstatt sich auf das Terroristen-Etikett zu konzentrieren“, sagte Hamid. Amnesty International befürchtet, dass diese Einstufung den Kreislauf der Gewalt eher noch verstärken werde. Zahlreiche Fälle extralegaler Gewalt durch die Sicherheitskräfte werden hingegen bislang nicht verfolgt und im Jahre 2021 sind allein sieben Todesopfer hinzugekommen.
Hendardi vom Setara Institute for Democracy and Peace sagte, dass die Erklärung, die Pro-Unabhängigkeitsgruppen als „Terroristen“ einzustufen, wahrscheinlich „das Schlimmste“ sei, was Präsident Joko Widodo hätte tun können. „Dies wird jeden Versuch der Regierung, Papua wirtschaftlich zu entwickeln, wie er es bei verschiedenen Gelegenheiten versprochen hat, ernsthaft behindern“, sagte er. Dieser Schritt, sagte er, „illustriert die Unzulänglichkeit der Regierung im Umgang mit der Konfliktlösung in Papua und ist ein Ausdruck von Hoffnungslosigkeit.“
„Abgesehen davon, dass dieser Schritt kontraproduktiv ist und die Spirale der Gewalt beschleunigt und verlängert, öffnet er die Tür für schwere Menschenrechtsverletzungen weiter“, warnte er.
Joe Collins von der Australian West Papua Association (AWPA) sagte: „Die Möglichkeit, dass die indonesische Regierung die OPM als terroristische Organisation benennt, kam in der Vergangenheit regelmäßig zur Sprache, wurde aber noch nie umgesetzt. Die Entscheidung, dies am Donnerstag zu tun, ist offensichtlich eine Reaktion auf den Tod von Generalmajor Gusti Putu Danny Karya Nugraha.“
Die AWPA ist der Meinung, dass „dies völlig kontraproduktiv ist und bedeutet, dass jeder indigene Papua nach Lust und Laune der Sicherheitskräfte verhaftet werden könnte. Es könnte auch gegen zivilgesellschaftliche Gruppen in Westpapua eingesetzt werden, die gegen Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörung protestieren und die Rede- und Medienfreiheit einschränken.“ „Diese Äußerungen des Präsidenten und der Regierungsbeamten haben das Potential, eine Eskalation der Gewalt in Papua auszulösen, was dazu führt, dass die Sicherheitskräfte in dem Gebiet militärische Razzien durchführen“, so Collins. „Wir alle wissen, was passiert, wenn das indonesische Militär Sicherheitsoperationen durchführt; Häuser werden niedergebrannt, Vieh wird getötet, Gärten werden zerstört und die Menschen fliehen buchstäblich in den Dschungel, wo sie zu verhungern drohen.“ Die AWPA ist besorgt, dass der Sicherheitsansatz der indonesischen Regierung zu weiteren zivilen Opfern führen werde und fordert ein Umdenken der indonesischen Regierung: „Viele Berichte haben darauf hingewiesen, dass aggressive Sicherheitsansätze in Westpapua nicht funktionieren. Anstatt Erklärungen abzugeben, die zu einer Eskalation der Gewalt in Westpapua führen könnten, sollte der indonesische Präsident sein Militär anweisen, in die Kasernen zurückzukehren, um die Spannungen abzubauen und Leben zu retten“.
Menschenrechtsaktivisten Veronica Koman twitterte: „Indonesia has just burnt the bridge towards a peaceful resolution“ und äußerte die Sorge vor steigender Gewalt und Menschenrechtsverletzungen in Westpapua.
Die Kommission für Vermisste und Opfer von Gewalt (KontraS) schätzte ein, dass die Etikettierung der Unabhängigkeits- und Freiheitskämpfer in Westpapua als Terroristen ein Versuch sei, Stimmen, die Gerechtigkeit fordern, zum Schweigen zu bringen. „Das Etikett ist nichts anderes als ein Versuch, Stimmen, die Gerechtigkeit in Papua fordern, zum Schweigen zu bringen. Dies wird sicherlich die Bedingungen in Papua verschlechtern,“ sagte der stellvertretende Koordinator von KontraS, Rivanlee Anandar, am Donnerstag, den 29. April.
Er meinte, dass dies Auswirkungen auf die Legitimität des massiven Militäreinsatzes in der Region, die Macht der Sicherheitskräfte bei der Reaktion auf die Situation in Papua und die Stigmatisierung der indigenen Papuas, die ihre Rechte einfordern, haben werde. „Es besteht auch die Möglichkeit, dass es zivile Opfer gibt“, fügte er hinzu. Laut Rivanlee solle der Staat seine Sichtweise erweitern, um auf die Situation in der östlichsten Provinz zu reagieren. Es gehe nicht um den bewaffneten Konflikt, auf den mit einem Sicherheitsansatz reagiert werden müsse, argumentierte er. „Sondern es geht um die Lücken, den Zugang und das Wohlergehen bei der Erfüllung der Grundrechte, verglichen mit Gebieten außerhalb Papuas“. Der stellvertretende Koordinator von KontraS schätzte ein, dass der Staat diese Probleme ignoriere, indem er den Blick nur auf den Sicherheitssektor verengt, geschweige denn die KKB als Terroristen abstempelt.
Die TPNPB & OPM reagierten in einer Pressemitteilung auf die Einstufung als „Terroristen“ und prangerten die Verbrechen des indonesischen Militärs gegen die papuanische Zivilbevölkerung an. Die TPNPB & OPM bitten um eine militärische Intervention der Sicherheitskräfte der Vereinten Nationen und um moralische und materielle Unterstützung durch die Europäische Union, die Organisation Afrikanischer, Karibischer und Pazifischer Staaten und allen UN-Mitgliedern.
Der Sprecher der TPNPB-OPM, Sebby Sambon, verurteilte am Freitag die Entscheidung Indonesiens, die Gruppen als terroristische Organisationen zu deklarieren. Er sah die indonesische Regierung in einem Irrtum und in einem Zustand der Panik. „Beachten Sie, dass wir, die TPNPB-OPM, bereit sind, den Rechtsmechanismus der Vereinten Nationen zu nutzen, wenn Indonesien uns als terroristische Gruppen betrachtet. Selbst wenn Indonesien den Weg des internationalen Strafgerichtshofs beschreitet,“ bestätigte Sebby Sambon am Freitag, den 30. April.
Dass die Gewalt durch die „Terroristen“-Klassifizierung der Unabhängigkeits- und Freiheitskämpfer in Westpapua nur noch weiter zunehmen könnte, lässt sich anhand des nachfolgenden Statements der TPNPB & OPM erahnen: Die, sollte die indonesische Zentralregierung ihr Handeln in Westpapua nicht auf friedlichem Wege gestalten, davor warnen, dass die Unabhängigkeits- und Freiheitskämpfer zukünftig nicht vor zivilen Opfern zurückschrecken werden.