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Bürgerliche Freiheiten in Indonesien (Quelle: Civicus)

Civicus: Indonesische Behörden kriminalisieren Aktivisten und unterdrücken gewaltsam Proteste in Papua

In einem neuen Bericht betrachtet Civicus (internationales Bündnis, das sich für die Stärkung des bürgerschaftlichen Engagements und der Zivilgesellschaft in der ganzen Welt einsetzt) die bürgerlichen Freiheiten in Westpapua und ihre Einschränkungen und listet mehrere Fälle von Verletzungen des Rechts auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit und Pressefreiheit auf. So ist der Zustand des bürgerlichen Raums in Indonesien nach wie vor „eingeschränkt“. Trotz der Verpflichtungen im Rahmen des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte und des indonesischen Rechts, die bürgerlichen Freiheiten zu achten und zu schützen, werden weiterhin Verstöße dokumentiert.

In den letzten Monaten wurden Menschenrechtsverteidiger*innen verhaftet, kriminalisiert und bedroht, insbesondere diejenigen, die sich zu den Menschenrechtsverletzungen in Westpapua äußerten. Diejenigen, die Proteste gegen die Schaffung neuer Provinzen in Papua organisiert haben oder daran beteiligt waren, wurden ebenfalls verhaftet und misshandelt, und einige waren mit übermäßiger oder tödlicher Gewalt durch die Sicherheitskräfte konfrontiert. Die Rangliste der Pressefreiheit in Indonesien hat sich verschlechtert, und es wird weiterhin über digitale Unterdrückung berichtet.

Civicus berichter unter anderem über folgende Fälle: (vom Westpapua-Netzwerk übersetzt und gekürzt – Originalbericht CIVICUS)

Mangelhafter Schutz von Menschenrechtsverteidiger*innen:

Im März 2022 wurden zwei Menschenrechtsverteidiger wegen Verleumdung angeklagt, weil sie über Menschenrechtsverletzungen im Zusammenhang mit Unternehmensverbrechen in Papua berichtet hatten, die angeblich mit Regierungsbeamten in Verbindung stehen. Wie bereits dokumentiert, ging der Fall auf eine YouTube-Talkshow im August 2021 zurück, in der die Menschenrechtsverteidiger Fatia Maulidiyanti und Haris Azhar die Ergebnisse eines von mehreren NGOs durchgeführten Untersuchungsberichts erörterten, der die angebliche Verbindung von Luhut Binsar Pandjaitan, dem indonesischen koordinierenden Minister für maritime Angelegenheiten, und mehreren anderen Behörden mit Goldabbauaktivitäten im Gebiet Blok Wabu im Bezirk Intan Jaya in Papua aufdeckte.

Nach der Veröffentlichung des Videos verschickte der koordinierende Minister am 26. August und 2. September 2021 zwei Vorladungen. Am 22. September meldete er die beiden bei der Polizei und berief sich dabei auf das Gesetz über elektronische Informationen und Transaktionen (ITE-Gesetz) – ein vages und zu weit gefasstes Gesetz, das schon oft zur Verhaftung, Verfolgung und Bestrafung von Aktivisten, Journalisten und Regierungskritikern eingesetzt wurde. Er verlangte außerdem, dass beide Seiten ihm 100 Milliarden Rupiahs (etwa 7 Millionen USD) als Entschädigung zahlen.

Am 17. März 2022 gaben die Ermittler der Regionalpolizei von Groß-Jakarta offiziell bekannt, dass Fatia Maulidiyanti, Koordinatorin der Kommission für die Verschwundenen und Gewaltopfer (KontraS), und Haris Azhar, Gründer der Lokataru-Stiftung, als Verdächtige in einer Verleumdungsklage gelten, die der koordinierende Minister im September 2021 gemäß Artikel 27 Absatz 3 in Verbindung mit Artikel 45 des Gesetzes über elektronische Informationen und Transaktionen (ITE-Gesetz) und Artikel 310 Absatz 1 und 311 des Strafgesetzbuchs eingereicht hatte. Am 21. März 2022 wurden die beiden von der Polizei weiter befragt. Zwei Tage später, am 23. März 2022, erstatteten neun NGOs bei der Polizei Anzeige gegen Luhut Binsar Panjaitan wegen angeblicher Begünstigung im Zusammenhang mit der Situation in Intan Jaya und legten ihre Erkenntnisse vor, die auf ihren Recherchen beruhten und die die beiden Verteidiger diskutiert hatten. Die Polizei weigerte sich jedoch, den Bericht zu bearbeiten.

Im November 2021 äußerte Mary Lawlor, UN-Sonderberichterstatterin für die Situation von Menschenrechtsverteidigern, ihre Besorgnis über den Fall und forderte die Regierung auf, die Anwendung von Strafgesetzen zur Schikanierung von Menschenrechtsverteidigern, die sich gegen angebliche Korruption ausgesprochen haben, unverzüglich einzustellen. Sie fügte hinzu, dass „Verleumdungsgesetze in Indonesien eingesetzt werden, um das Recht auf Meinungsfreiheit und freie Meinungsäußerung zu untergraben.“

Am 17. März 2022 protestierten Hunderte von Demonstranten von Laskar Merah Putih, einer regierungsfreundlichen Massenorganisation, vor dem Büro von Amnesty International Indonesien und forderten die Regierung auf, die Organisation des Landes zu verweisen, während sie Plakate hielten, auf denen Usman Hamid, der Geschäftsführer, eingeschüchtert und als „Verräter“ bezeichnet wurde. Amnesty hat die Regierung aufgefordert, eine umfassende Untersuchung der Menschenrechtsverletzungen in der Papua-Region durchzuführen und die Papua-Bevölkerung in alle Diskussionen über den besonderen Autonomiestatus der östlichsten Provinz einzubeziehen. Usman Hamid sagte: „Ich bin zutiefst besorgt über diesen Protest. Er erinnert mich an die militaristischen [Methoden] des Regimes der Neuen Ordnung, um Menschenrechtsaktivisten und -gruppen zum Schweigen zu bringen“. Der Aktivist erklärte gegenüber CIVICUS, dass er immer wieder von Regierungsbeamten zu Treffen eingeladen werde, die ihn aufgrund seines Aktivismus einschüchtern, und dass er auch online angegriffen werde.

Der Fall Victor Yeimo:

Der papuanische Menschenrechtsverteidiger Victor Yeimo befindet sich seit einem Jahr in Haft, während sein Prozess weitergeht. Victor Yeimo, ein Unabhängigkeitsbefürworter und internationaler Sprecher des Nationalen Komitees von West Papua (Komite Nasional Papua Barat oder KNPB), wurde am 9. Mai 2021 verhaftet und wegen Hochverrats nach Artikel 106 und 110 des indonesischen Strafgesetzbuches angeklagt. Menschenrechtsgruppen gehen davon aus, dass die Anklage auf seine friedliche Beteiligung an Anti-Rassismus-Protesten im Jahr 2019 und seine Teilnahme an einer Sitzung des UN-Menschenrechtsrats im selben Jahr zurückzuführen sei. Am Tag seiner Verhaftung wurde ihm der Zugang zu einem Rechtsbeistand und zu seiner Familie verweigert.

Seit seiner Verhaftung leidet er unter schweren gesundheitlichen Problemen. Am 18. Mai 2022 verschob das Gericht seinen Prozess erneut, da Yeimo immer noch an Tuberkulose leidet und außerhalb des Gefängnisses behandelt werden muss. Die Richter wiesen die Staatsanwaltschaft außerdem an, dafür zu sorgen, dass seine Inhaftierung den Standards für an Tuberkulose erkrankte Häftlinge entspricht.

Politische Gefangene:

Im April 2022 forderten die Menschenrechtsgruppen TAPOL, LBH Kaki Abu und LBH Makassar die Freilassung von sechs politischen Gefangenen aus Sorong, Papua Barat, die gefoltert und unfairen Prozessen ausgesetzt waren. Drei der sechs Inhaftierten sind noch minderjährig.

Die sechs wurden nach einem Angriff auf einen Militärposten in Kisor, Landkreis Maybrat, im September 2021 inhaftiert. Nach Angaben der Gruppen wurden sie bei der Festnahme geschlagen, ihre Augen mit Klebeband abgedeckt, und einige von ihnen husteten Blut. Einem von ihnen, Augustinus Yam, wurden die Ohren zugetackert, während Mikael Yam mit einer beringten Faust geschlagen wurde. Am 29. Dezember wurden sie dann heimlich von Sorong nach Makassar auf der Insel Sulawesi verlegt, ohne die Familien oder Anwälte der Gefangenen zu informieren. Damit sollte möglicherweise ihr Rechtsschutz geschwächt werden. Sie sind derzeit wegen Mordes angeklagt, und es wurden Bedenken hinsichtlich eines unfairen Verfahrens geäußert, einschließlich Einschüchterung und Drohungen, sich schuldig zu bekennen.

Eingeschränktes Recht auf Versammlungsfreiheit:

Am 11. März 2022 verhaftete die indonesische Polizei mindestens 90 Studenten aus Papua während einer Protestaktion in der Nähe des Präsidentenpalastes im Zentrum Jakartas. Die Demonstration der papuanischen Studenten richtete sich gegen die Schaffung neuer Provinzen in Papua. Berichten zufolge erlitten fünf Demonstranten bei der Verhaftung Verletzungen. Nach ihrer Verhaftung wurden die Studenten zum regionalen Polizeipräsidium Metro Jaya gebracht.

Am 15. März 2022 wurden zwei Papuas mutmaßlich von indonesischen Sicherheitskräften erschossen, als die Sicherheitskräfte in eine Menge von Hunderten von Demonstranten im Bezirk Yahukimo schossen, die gegen die von der Regierung geplante Schaffung neuer Provinzen in Papua demonstrierten. Die Polizei behauptete, die Demonstranten in Dekai, dem Hauptort von Yahukimo, hätten Personal angegriffen und Eigentum in Brand gesetzt. Die Demonstranten gaben an, dass die Polizei mit Schüssen auf einige Steinewerfer reagierte. Die wütende Menge setzte daraufhin nahe gelegene Gebäude in Brand, darunter das Informations- und Kommunikationsbüro von Yahukimo.

Am 10. Mai 2022 versammelten sich Tausende an mehreren Orten in der Nähe der Provinzhauptstadt Jayapura, um gegen den Plan zu protestieren, die Region Papua in neue Provinzen aufzuteilen. Auf Bildern war zu sehen, wie die Polizei mit schwerem Gerät und viel Personal gegen die Unruhen vorging. Die Behörden setzten Wasserwerfer und Tränengas ein, um die Demonstranten in Waena, einem Außenbezirk von Jayapura, zu vertreiben. Der Direktor der Papua Legal Aid Foundation (LBH), Emanuel Gobay, sagte, einer der Demonstranten sei von einem Gummigeschoss getroffen worden, das angeblich von einem Polizeibeamten abgefeuert wurde, und befinde sich in einem kritischen Zustand. Ein weiterer Teilnehmer erlitt Verletzungen, nachdem er von der Polizei angegriffen worden war. Er soll von einem Polizeibeamten in die Brust getreten worden sein.

Am selben Tag berichtete die Menschenrechtsgruppe TAPOL, dass die Polizei sieben Personen im Büro von KontraS Papua in Jayapura verhaftet hat. Unter ihnen befindet sich Jefry Wenda, der Sprecher der Petisi Rakyat Papua (PRP), einer Koalition von Basisorganisationen, die sich für das Recht auf Selbstbestimmung der Papuas einsetzt und unter anderem eine Evaluation der Sonderautonomie fordert. Zu den weiteren Verhafteten gehören mehrere Mitglieder des Nationalen Komitees von West Papua (Komite Nasional Papua Barat, KNPB), darunter Ones Suhuniap, Omizon Balingga und Imam Kogoya. Weitere Festgenommene waren Marthen Rumbiak (West Papua National Authority, WPNA) und die Aktivisten Esther Haluk und Aby Douw.

Nach Angaben der Polizei wurden sie verhaftet, weil sie angeblich gegen das Gesetz über elektronische Informationen und Transaktionen (ITE) verstoßen hatten, weil sie über soziale Medien zu Protesten am 10. Mai 2022 gegen den Plan der Regierung, die Region Papua in sechs Provinzen aufzuteilen, aufgerufen hatten. Die Polizei beschlagnahmte bei der Verhaftung einen Computer und einen Drucker. Das Southeast Asia Freedom of Expression Network (SAFEnet) verurteilte die Verhaftungen mit der Begründung, dass die über soziale Medien verbreitete Einladung zu Demonstrationen Teil des Rechts auf Versammlungsfreiheit und Meinungsäußerung der Bürger sei. Alle sieben wurden inzwischen nach einem Verhör durch die Polizei im regionalen Polizeipräsidium von Papua wieder freigelassen. Drei wurden über Nacht festgehalten, bevor sie freigelassen wurden.

Eingeschränktes Recht auf Meinungsfreiheit:

Am 17. Mai 2022 wurden sieben Personen vor dem Gericht in Jayapura formell wegen Hochverrats (makar) angeklagt, weil sie die verbotene Morning Star-Flagge, ein Symbol der Unabhängigkeit Papuas, gehisst hatten. Die sieben Personen hissten die Flagge im Cenderawasih Sports Center für etwa 30 Minuten und senkten sie dann. Zu den nach Artikel 106 und 110 des indonesischen Strafgesetzbuches Angeklagten gehören Melvin Yobe (29), Melvin Fernando Waine (25), Devion Tekege (23), Yosep Ernesto Matuan (19), Maksimus Simon-Petrus You (18), Lukas Kitok Uropmabin (21) und Ambrosius Fransiskus Elopere (21). Dutzende friedlicher politischer Aktivisten, die sich für die Unabhängigkeit einsetzen, wurden in den letzten zwei Jahrzehnten wegen Hochverrats angeklagt, weil sie die Morgensternflagge gehisst oder an friedlichen Protesten teilgenommen haben.

Pressefreiheit in Indonesien:

Im jüngsten Pressefreiheitsindex von Reporter ohne Grenzen ist Indonesien von 113 auf 117 von 180 Ländern zurückgefallen. Die Organisation stellte fest, dass seit dem Übergang zur Demokratie in Indonesien zwar Hunderte unabhängiger Medien entstanden seien, aber nach wie vor Bedenken bestünden, u. a. wegen der Anwendung restriktiver Gesetze gegen Journalisten, wie z. B. des ITE-Gesetzes, nach dem Journalisten für Online-Diffamierung (Artikel 27) oder Online-Hassreden (Artikel 28) bis zu sechs Jahre ins Gefängnis kommen können.

Reporter ohne Grenzen erklärte, dass Journalisten, die Fälle von Korruption auf lokaler Ebene untersuchen, häufig verschiedenen Formen der Einschüchterung durch Polizei oder Soldaten ausgesetzt seien, die von Verhaftung bis hin zu körperlicher Gewalt reichen. Dies führe zu einem hohen Maß an Selbstzensur. So könne es für Journalisten auch gefährlich sein, über Umweltthemen zu berichten, wenn diese große private Interessen betreffen, die von lokalen Beamten unterstützt werden. Auch hindere das Militär die Medien daran, über Westpapua zu berichten.