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Art. 3 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (animierte Grafik: WPN)

„Lasst uns nicht im Stich“ – amerikanische Studie über das Risiko von Massenverbrechen in Westpapua

„Völkermord und damit zusammenhängende Verbrechen gegen die Menschlichkeit sind verheerend in ihrem Ausmaß und ihrer Tragweite, in den bleibenden Narben für die Überlebenden und ihre Familien und in den langfristigen Traumata, die sie in den Gesellschaften verursachen, sowie in den wirtschaftlichen, politischen und sozialen Kosten und Folgen, die oft weit über das Gebiet hinausgehen, in dem sie begangen wurden.
Um künftige Völkermorde zu verhindern, muss man verstehen, wie es zu diesen Ereignissen kommt, und auch die Warnzeichen und menschlichen Verhaltensweisen berücksichtigen, die Völkermord und Massengräueltaten möglich machen.“
– so das Vorwort einer aktuellen Studie des Simon-Skjodt Center for the Prevention of Genocide des Amerikanischen Holocaust Memorial Museum, die sich mit dem Risiko von Massenverbrechen in Westpapua befasst.

Das Simon-Skjodt-Zentrum konzentriert sich demnach auf Situationen, „in denen die Gefahr groß angelegter, gruppenbezogener, identitätsbasierter Massengräueltaten besteht oder diese bereits im Gange sind“ und die Notwendigkeit besteht, „die Aufmerksamkeit auf Fälle zu lenken, in denen die Politik, die Medien und die Öffentlichkeit dem Fall weniger Beachtung schenken, als es der Risikograd erfordert.“

Ende Juli veröffentlichte das Forschungszentrum eine Studie mit dem Titel „“Don’t abandon us“: Preventing Mass Atrocities in Papua, Indonesia (dt. „Lasst uns nicht im Stich“: Verhinderung von Massenverbrechen in Papua, Indonesien).

In dieser amerikanischen Studie wird das Risiko von Massenverbrechen (groß angelegte, systematische Gewalt gegen die Zivilbevölkerung) in Papua, Indonesien, in den nächsten 12-18 Monaten bewertet. Eine steigende Tendenz bei der Häufigkeit gewalttätiger Zwischenfälle veranlasste diese Analyse des Potenzials für Massenverbrechen. Für das Erstellen dieser Studie wurden Feldforschungen in Indonesien, einschließlich Papua, von März bis August 2021, durchgeführt sowie Expertengespräche und eine Literaturrecherche genutzt. Der konzeptionelle Rahmen und die Forschungsfragen des Berichts beruhen auf dem von der US-Regierung entwickelten Rahmen zur Bewertung von Gräueltaten.

Insgesamt benennt die Studie fünf strukturelle Faktoren, als Ursache für das Risiko von Massenverbrechen in Westpapua:

1. Indonesien hat eine lange Geschichte von Massenverbrechen.

2. Indigene Papuas wurden von der politischen Entscheidungsfindung ausgeschlossen; die Bemühungen des Staates, auf ihre Beschwerden einzugehen, sind gescheitert.

3. Die Ausbeutung der natürlichen Ressourcen durch den indonesischen Staat und multinationale Unternehmen hat zu Konflikten um Land, zu einer Antipathie der indigenen Papua gegenüber dem Staat und zu Spannungen zwischen indigenen Papuas und indonesischen Migranten beigetragen.

4. Die indonesischen Sicherheitskräfte in der Region sind in Menschenrechtsverletzungen verwickelt, werden aber nicht zur Rechenschaft gezogen, was die Ressentiments der indigenen Papuas gegen den Staat verstärkt.

5. Indigene Papuas und indonesische Migranten, die in Papua leben, befinden sich oft in Konflikt über wirtschaftliche, politische, religiöse und ideologische Fragen.

Drei auslösende Faktoren, die sich auf die zunehmende Spaltung der Papuas, kommunale Protestbewegungen und bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen Unabhängigkeitskämpfern und indonesischen Sicherheitskräften beziehen, erhöhen laut der Studie das Risiko für Massenverbrechen.

Die Studie identifiziert zwei plausible Szenarien für Massenverbrechen in Papua. Dabei handelt es sich um „Worst-Case-Szenarien„, nicht um unvermeidliche oder gar sehr wahrscheinliche Ergebnisse, so die Autoren.

  • Szenario A beschreibt massenhafte Gräueltaten, die von pro-indonesischen indigenen Papua-Milizen mit Unterstützung des Militärs und der Polizei gegen unabhängige indigene Papuas begangen werden. Dieses Szenario hängt davon ab, dass die Gruppen der indigenen Papuas gespalten bleiben.
  • Wenn die indigenen Papuas einen stärkeren Zusammenhalt und eine bessere Koordination entwickeln, könnte dies zu Szenario B führen, in dem indonesische Migranten und indonesische Sicherheitskräfte Gräueltaten gegen indigene Papuas begehen (die kollektiv als Opposition zum indonesischen Staat und als Bedrohung der Interessen von Migranten wahrgenommen werden).

Die Studie macht jedoch auch mildernde Faktoren und Ungewissenheiten aus, die berücksichtigt werden müssen. Mehrere Quellen der Resilienz dämpfen demnach das Risiko in Papua, darunter Frauengruppen, die lokale papuanische Presse und nicht-politische Organisationen der Zivilgesellschaft. Darüber hinaus weisen die Autoren auf eine Reihe wichtiger Unwägbarkeiten hin, die genau beobachtet werden sollten, darunter die Taktiken der Sicherheitskräfte und der Unabhängigkeitsbefürworter, die sich entwickelnden Fähigkeiten der bewaffneten Unabhängigkeitsbefürworter und mögliche Veränderungen in der indonesischen Militärpolitik.

Die Studie schließt mit Empfehlungen an die indonesische Regierung, die regionalen und lokalen Behörden, die Zivilgesellschaft, Unabhängigkeitsbefürworter, multinationale Unternehmen und die internationalen Partner Indonesiens, um Massenverbrechen zu verhindern. Die spezifischen Empfehlungen gliedern sich in fünf Handlungsfelder:

1. Verbesserung der Informationsfreiheit und Überwachung der Risiken von Gräueltaten in der Region Papua.

2. Bewältigung von Konflikten in Papua mit gewaltfreien Mitteln.

3. Angehen der Missstände und Konfliktursachen in Papua.

4. Umgang mit potenziellen Krisenherden.

5. Unterstützung der Bemühungen um Gerechtigkeit und Rechenschaftspflicht.

Die Studie ist hier (auf Englisch) abzurufen.