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Bürgerliche und politische Rechte wie das Recht auf Versammlungsfreiheit werden nicht immer geschützt in Westpapua (Foto: Twitter/X, Veronica Koman)

Demokratiedefizite in Westpapua

Freedom House (Logo: Freedom House)

Obwohl Indonesien seit dem Sturz des Suharto-Regimes 1998 demokratische Fortschritte gemacht hat, gibt es weiterhin große Herausforderungen für die Demokratie in Indonesien. Dazu zählen Korruption, Diskriminierung von und Gewalt gegen Minderheitengruppen, der Konflikt in Westpapua und die politisierte Anwendung von Verleumdungs- und Blasphemiegesetzen. Zu diesem Ergebnis kommt der Ende Februar veröffentlichte neue Bericht „Freedom in the World 2024“ der Nichtregierungsorganisation Freedom House.

Freiheit in Indonesien im Sinkflug

Im Jahr 2024 behält Indonesien seinen Status als „teilweise frei“. Es wird jedoch mit 57 von 100 Punkten mit einem Punkt weniger bewertet als noch 2023. Dass die Demokratie in Indonesien vor Herausforderungen steht, zeigt sich auch in dem Vergleich zum Freedom House-Ranking vom Jahr 2017. Damals erhielt Indonesien mit 65 von 100 Punkten ganze 8 Punkte mehr als 2024.

Freiheit in Indonesien wird nur teilweise gewährt (Karte: WPN)

Negative Entwicklungen zeigen sich aktuell in beiden Bereichen der politischen Rechte und zivilen Freiheiten. Die Ausübung der politischen Rechte in Indonesien wird derzeit mit 29 von 40 Punkte bewertet und in den zivilen Freiheiten erhält Indonesien 28 von 40 möglichen Punkten.

Mängel sind hier in der Transparenz des politischen Handelns der Regierung zu finden, in Korruption, in der Meinungs- und Versammlungsfreiheit, in der Pressefreiheit, in der freien Religionsausübung, in der Freiheit der Lehre, in der uneingeschränkten Arbeit von NGOs, der Straflosigkeit militärischer Gewalt, sowie in der Gleichbehandlung aller Personen. Viele dieser Demokratiedefizite sieht Freedom House in Westpapua.

Keine freie Presse in Westpapua

Ein Beispiel ist die mangelnde Pressefreiheit in Westpapua. Ausländische Journalist*innen, die die Region besuchen, sehen sich mit bürokratischen Hindernissen und Abschiebungen konfrontiert. Internetsperren während Proteste und Selbstzensur behindern die nationale und regionale Pressearbeit zu Westpapua. Journalist*innen, die über heikle Themen wie LGBTQIA+, organisierte Kriminalität, sexuelle Übergriffe und Korruption berichten, sind Schikanen, Gewalt und Drohungen ausgesetzt – in Westpapua und ganz Indonesien. Im Januar 2023 wurde vor dem Haus des papuanischen Journalisten Victor Mambor ein Sprengsatz gezündet. Eine Untersuchung ergab keine Verdächtigen und wurde eingestellt.

Einschränkungen in der Freiheit der Lehre in Westpapua

Die Bedrohungen der akademischen Freiheit haben in den letzten Jahren zugenommen. Hardliner-Gruppen und andere sind dafür bekannt, dass sie in Westpapua z.B. Diskussionen über die Papua-Politik, interreligiöse Themen oder auch Polizeigewalt bedrohen. Öffentliche akademische Diskussionen über Westpapua wurden abgesagt und die Organisator*innen überwacht und bedroht. Studierende, Leiter*innen von Studentengewerkschaften und andere, die an Protesten auf dem Campus im Zusammenhang mit Westpapua beteiligt sind, sehen sich weiterhin Einschüchterungen, Verhaftungen und Anklagen wegen Hochverrats ausgesetzt, wobei die Behörden die Proteste regelmäßig mit der Unabhängigkeitsbewegung in Verbindung bringen.

In einer Verordnung des Präsidenten aus dem Jahr 2021 wird erklärt, dass die nationale philosophische Ideologie Indonesiens, die Pancasila, die Forschungs- und Innovationspolitik leiten wird. Akademiker*innen in ganz Indonesien befürchten, dass die Behörden dieses Dekret nutzen könnten, um Forschung zu verbieten, die mit der Pancasila unvereinbar ist.

Einschränkungen in dem Recht auf freie Meinungsäußerung in Westpapua

Die Regierung ist dafür bekannt, dass sie Personen überwacht und festnimmt, die über Separatismus in Westpapua diskutieren oder die Morgenstern-Flagge zeigen. Solche Personen werden nach wie vor des Hochverrats angeklagt und müssen mit langen Haftstrafen rechnen, wenn sie für schuldig befunden werden.

Defizite in der Versammlungsfreiheit in Westpapua

In den letzten Jahren wurden Proteste zunehmend durch Störungen des Internets unterbrochen. Versammlungen in Westpapua, die sich mit sensiblen politischen Themen befassen, werden regelmäßig aufgelöst, wobei die Teilnehmer*innen mit Einschüchterung oder Gewalt durch Sicherheitskräfte konfrontiert werden.

Schutz von Menschenrechtsverteidiger*innen
Schutz von Menschenrechtsverteidiger*innen (Foto: Forum Asia)

Mangelnder Schutz von Menschenrechtsverteidiger*innen

Aktivist*innen, die sich gegen Menschenrechtsverletzungen in Westpapua einsetzen und die Korruption aufdecken, werden häufig von den Behörden verfolgt. Im Jahr 2022 wurden die Menschenrechtsaktivisten Haris Azhar und Fatia Maulidiyanti wegen Verleumdung eines Regierungsministers angeklagt. Die Anklage bezog sich auf ein YouTube-Video aus dem Jahr 2021, in dem Azhar und Maulidiyanti die Beteiligung des Militärs an Bergbauaktivitäten in Westpapua diskutierten. Der Prozess begann im April 2023. Anfang Januar 2024 wurden die beiden Aktivist*innen freigesprochen.

Die Aufarbeitung schwerer Menschenrechtsverletzungen durch eine unabhängige Justiz?

Der indonesische Menschenrechtsgerichtshof verhandelte 2022 zum ersten Mal seit 2004 einen Fall, in dem ein pensionierter Militäroffizier beschuldigt wurde, im Jahr 2014 Demonstranten aus Westpapua unrechtmäßig getötet zu haben. Der Fall, auch bekannt als „Bloody Paniai“, weckte große Hoffnungen auf eine gerichtliche Aufarbeitung und strafrechtliche Sanktionen für Militärs, die an Menschenrechtsverletzungen in Westpapua (mutmaßlich) beteiligt sind/waren. Der Angeklagte wurde jedoch freigesprochen.

Der Paniai-Fall ist erst das vierte schwere Menschenrechtsverbrechen, das in Indonesien vor Gericht verhandelt wurde. In allen Fällen wurden die Angeklagten freigesprochen.

Im Januar 2023 räumte der indonesische Präsident Joko Widodo  „grobe Menschenrechtsverletzungen“ in der Geschichte seines Landes ein und versprach, eine Wiederholung zu verhindern. „Mit klarem Verstand und aufrichtigem Herzen erkenne ich als (indonesisches) Staatsoberhaupt an, dass es in vielen Fällen zu schweren Menschenrechtsverletzungen gekommen ist“, so Widodo. Die Regierung sei bestrebt, die Rechte der Opfer „auf faire und vernünftige Weise wiederherzustellen, ohne dabei eine gerichtliche Lösung zu vernachlässigen“, sagte er, ohne jedoch näher darauf einzugehen, wie dies geschehen solle.

Menschenrechtsorganisationen in Indonesien indessen betrachteten seine Aussagen als politisches Kalkül mit Blick auf die Wahlen 2024. Die Tatsache, dass der Fokus der darin enthaltenen Wiedergutmachungsversprechen auf außergerichtliche Schlichtungsverfahren ruht und lediglich die Rede davon war „[…] die Rechte der Opfer auf faire und vernünftige Weise wiederherzustellen“, ohne eine gerichtliche Einigung anzustreben, wird als implizite, an die Täter*innen gerichtete Zusage verstanden, sie auch künftig strafrechtlich unbehelligt zu lassen.

Anhaltender bewaffneter Konflikt in Westpapua (Foto: WPN)

Anwendung unrechtmäßiger Gewalt in Westpapua

Tödliche Auseinandersetzungen mit Sicherheitskräften sind in Westpapua nach wie vor an der Tagesordnung und haben seit 2018 an geografischer Ausdehnung, Intensität und Häufigkeit zugenommen. Die Sicherheitskräfte sind dort in Folter und außergerichtliche Tötungen verwickelt. Gewalt im Zusammenhang mit der Gewinnung von Bodenschätzen und Landstreitigkeiten ist nach wie vor ein Problem.

Bewaffnete Kämpfer der Nationalen Befreiungsarmee für Westpapua nahmen Philip Mehrtens, einen neuseeländischen Piloten, im Februar 2023 als Geisel, nachdem sie sein Flugzeug zerstört hatten. Er ist weiterhin in ihrer Gewalt. Im Oktober 2023 griffen Unabhängigkeitskämpfer Bergleute im Bezirk Yahukimo an und töteten mindestens 13 Menschen.

Ungleiche Behandlung von indigenen Papuas, Flucht & Vertreibung

Indigene Papuas werden weiterhin rassistisch diskriminiert. Rassistische Narrative finden sich sowohl in der Zivilbevölkerung als auch bei Behörden und politischen Entscheidungsträger*innen.

Indigene Papuas werden von den Sicherheitskräften in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt. Mehrere zehntausende Papuas sind als Binnenflüchtlinge auf der Flucht im eigenen Land. Oft ohne Zugang zu Nahrung, Bildung und medizinischer Versorgung.


Die in Washington basierte Nichtregierungsorganisation Freedom House wurde 1941 gegründet und veröffentlicht seit 1973 ihren jährlichen Bericht „Freedom in the World“. Darin wird die Entwicklung der politischen Rechte und bürgerlichen Freiheiten in allen Staaten und politischen Territorien der Erde bewertet und als „frei“, „teilweise frei“ oder „unfrei“ eingestuft.