Zwei der drei indonesischen Präsidentschafts- und Vizepräsidentschaftskandidaten haben auf einen Fragebogen zu den wichtigsten Menschenrechtsfragen in Indonesien geantwortet, wie Human Rights Watch Anfang Februar mitteilte. Human Rights Watch hatte den Fragebogen erstellt, um den Kandidaten die Möglichkeit zu geben, sich vor den Parlamentswahlen am 14. Februar 2024 öffentlich zu Menschenrechtsfragen zu äußern. Etwa 205 Millionen registrierte Wähler können am 14. Februar ihre Stimme abgeben.
Die Präsidentschaftskandidaten Anies Baswedan und Ganjar Pranowo haben ihre Antworten auf Englisch eingereicht. Prabowo Subianto, der dritte Präsidentschaftskandidat, hat nicht geantwortet.
Die Frist für die Beantwortung endete am 25. Januar. Das Team von Ganjar Pranowo und dem Vizepräsidentschaftskandidaten Mahfud M.D. übermittelte am 26. Januar eine 8-seitige Antwort. Das Wahlkampfteam von Baswedan und Iskandar übermittelte am 4. Februar eine 10-seitige Antwort. Beide Teams verwiesen auch auf die Visionen und Missionen ihrer Kandidaten, die sie offiziell bei der Allgemeinen Wahlkommission eingereicht hatten.
Human Rights Watch nahm zwischen dem 1. Dezember und dem 3. Februar mehrfach telefonisch, per SMS, per Post und per E-Mail Kontakt mit den Wahlkampfteams auf, um sich zu vergewissern, dass sie den Fragebogen erhalten hatten und um sie an die Frist zu erinnern. Weder das Team von Prabowo noch sein Vizekandidat Gibran R. Raka haben auf diese Anfragen geantwortet, gibt Human Rights Watch an.
Das Westpapua-Netzwerk dankt Human Rights Watch für die Veröffentlichung der Antworten und betrachtet im Folgenden besonders die für Westpapua relevanten Fragen aus dem Human Rights Watch Fragebogen und übersetzt die Antworten ganz oder zum Teil auf Deutsch.
Fragen zu Westpapua
Der Fragebogen enthielt einen einzelnen Abschnitt zu Westpapua mit folgenden Fragen: „Was sollte getan werden, um die Achtung der Menschenrechte in Westpapua zu fördern? Wie stehen Sie zu den von der Regierung verhängten Beschränkungen des Zugangs nach Westpapua für ausländische Journalist*innen und internationale Menschenrechtsbeobachter*innen?“
Antwort von Anies Baswedan & Muhaimin Iskandar:
„Standpunkt: Die Hauptursache für die komplexen Sicherheitsprobleme in Papua [Anm. d. WPN: vermehrt wird in den Antworten nur der Begriff Papua genannt. Dieser wird immer noch häufig als Synonym für alle Provinzen Westpapuas gebraucht] ist das Problem der Gerechtigkeit. Die Verhaltensweisen, die zur Aktion der KKB [Abk. für bewaffnete kriminelle Gruppe, Anm. d. WPN] führten, resultieren aus der Ungerechtigkeit in Papua.
Programm: Wir bieten drei Lösungen an, um mit dem Papua-Problem umzugehen
● Lösung aller Menschenrechtsverletzungen in Papua durch die Stärkung der nationalen Menschenrechtsinstitutionen, um Menschenrechtsverletzungen in Papua zu untersuchen und zu lösen, sowie die Förderung der sozioökonomischen Wiedergutmachung für die Opfer von Menschenrechtsverletzungen in Papua.
● Verhinderung des Wiederauftretens von Gewalt durch die Gewährleistung von Gerechtigkeit durch (1) nachhaltige Infrastrukturentwicklung unter Beachtung der Sonderautonomie und der Gewohnheitsrechte indigener Gemeinschaften, (2) Verwirklichung von Ernährungssicherheit durch lokale Nahrungsmittelproduktion mit indigenen Gemeinschaften als Hauptakteure, (3) Senkung der Logistikkosten, ( 4) das Vorhandensein von kommunalen Gesundheitszentren und Schulen in der gesamten Region Papua und (5) die Befähigung von Talenten aus Papua zur aktiven Beteiligung an der Entwicklung Indonesiens in verschiedenen Bereichen und Institutionen.
● Durchführung eines umfassenden Dialogs, der alle Parteien, insbesondere die indigenen Papuas (OAP), respektiert und wertschätzt.“
Antwort von Ganjar Pranowo & Mahfud MD:
„Ganjar-Mahfud setzen sich für die Verwirklichung der Vision des gleichen Zugangs zum Recht für alle Menschen ein, wie es die Verfassung vorsieht. Unter dem Motto „Progressive Rechtsstaatlichkeit und Gewährleistung der Menschenrechte“ werden wir für faire Gesetze und eine korrekte Rechtsdurchsetzung sorgen sowie die Verpflichtung bekräftigen, die Menschenrechte zu achten, zu schützen und zu erfüllen, gefolgt von Regelungen, die an die aktuellen Entwicklungen angepasst sind.
Speziell für Papua werden wir uns auf das Thema Steuerpolitik und asymmetrische Entwicklung für Papua durch folgende Maßnahmen konzentrieren: Verringerung der sozioökonomischen Ungleichheiten aufgrund interner Unterschiede bei Wachstum, Entwicklung und Zugang zu Ressourcen zwischen den Regionen durch Umverteilung von Ressourcen, Infrastrukturinvestitionen, Steueranreize oder besondere finanzielle Unterstützung für Papua, um ein gerechteres Wirtschaftswachstum zu erreichen, die Armut zu verringern und den Lebensstandard der Bürger für diejenigen zu verbessern, die es am meisten brauchen. Darüber hinaus haben wir uns verpflichtet, einen besonderen Ansatz zur Verhinderung von Korruption und der Zerstörung der natürlichen Ressourcen in Papua zu verfolgen, insbesondere in den neu erweiterten Provinzen. (Vision Mission 4.1.7; Erläuterung von Vision und Mission S. 89 und S. 135)
Ganjar wird als „Bapak“ der papuanischen Studenten wahrgenommen, die vor einigen Jahren in Zentral-Java und Yogya mit rassistisch motivierter Diskriminierung konfrontiert waren. Seine spontane und stille Unterstützung für eine junge Papua-Frau, die ihr Studium aufgrund finanzieller Beschränkungen beinahe abgebrochen hätte, wurde in Papua zu einem der heißesten Themen.
Diese Erfolgsbilanzen und schriftlichen Missionen zeigen, dass Ganjar-Mahfud Papua besondere Aufmerksamkeit schenken, die sich zu konstruktiver Politikentwicklung und Aktionen zur Förderung, zum Schutz und zur Erfüllung der Menschenrechte in allen Provinzen Papuas weiterentwickeln wird.“
Verlust von Landrechten
Eine weitere – auch für Westpapua relevante – Frage bezog sich auf den Verlust von Landrechten durch Ölpalmplantagen oder andere extraktive Unternehmen und den Schutz der indigenen Gemeinschaften und Bewohner*innen vor diesen Verlusten und damit einhergehenden Problemen.
Anies Baswedan & Muhaimin Iskandar gaben an, „ihre Existenz zu respektieren, ihre Rechte zu schützen und ihren Lebensunterhalt zu sichern.“ Dazu verpflichten sie sich, das Gesetz über indigene Völker zu ratifizieren, eine gerechte Entwicklung umzusetzen, die „niemanden zurücklässt“ und zukünftig in solche Entwicklungsprojekte die Öffentlichkeit „ernsthaft“ miteinzubeziehen, um Wirtschaftswachstum nicht zulasten von Umweltproblemen zu erzielen. Dadurch sollen agrarpolitische und horizontale Konflikte gelöst werden.
Ganjar & Mahfud gaben an, dass sie ein Moratorium für die Abholzung erlassen und die Wiederaufforstung, Wiederherstellung und Rehabilitierung beschleunigen werden. Aktivitäten in Absprache mit den Adat-Gemeinschaften sollen erfolgen, um die verstärkte Erhaltung der Waldgebiete als Quelle lokaler Nahrungsmittel und pflanzlicher Arzneimittel, für Wasser, Sauerstoff, für die Klimaregulation und natürlicher Dienstleistungen für das Leben der Gemeinschaften im Umfeld des Waldes, zu erzielen.
Schutz von religiösen Minderheiten
Zu der Frage nach dem Schutz von religiösen Minderheiten betonen Anies Baswedan & Muhaimin Iskandar unter anderem die Ziele des Schutzes und gleicher Möglichkeiten für alle, Inklusion und Toleranz als Werte von klein auf, die Schaffung von sicheren und integrativen Räumen und die Sicherheit bei der Ausübung der Religion.
Ganjar & Mahfud wollen sich auf den sozialen und kulturellen Aspekt konzentrieren, um religiöse Intoleranz anzugehen. Hierzu zählen Bildungsprojekte, die Toleranz und soziale Solidarität zwischen religiösen Gemeinschaften und soziokulturellen Gruppen stärken sollen. Auch betonen sie die Stärkung der Rolle der islamischen Internatsschulen und die kostenlose Grundschulbildung bis zur High School.
Kriminalisierung von Journalist*innen
Zu der Frage, wie sie die derzeitige Kriminalisierung von Journalist*innen in Indonesien bewerten, gaben Anies Baswedan & Muhaimin Iskandar an: „Wir müssen verstehen, dass die Mitglieder der Presse in einem demokratischen Land Säulen sind, deren Freiheit und Unabhängigkeit wir bewahren und garantieren müssen. Deshalb setzen wir uns dafür ein, die Qualität der indonesischen Demokratie zu verbessern.“ Dazu sollen Vorschriften, die die Pressefreiheit und zivilen Freiheiten behindern, überarbeitet werden. Es müsse ein Gefühl der Sicherheit im Leben aller Menschen, einschließlich der Journalist*innen, vorhanden sein. Sie betonten den sinken Index der Pressefreiheit in Indonesien in den letzten Jahren und dass es laut Aufzeichnungen der Alliance of Independence Journalists (AJI) zwischen 2014 und 2023 621 Fälle von Gewalt gegen Journalist*innen in Indonesien gegeben habe.
Ganjar & Mahfud „verpflichten“ sich, den Demokratisierungsprozess in Indonesien zu fördern und planen: „Die Gewährleistung einer unabhängigen Presse und eines unabhängigen journalistischen Lebens, das im Korridor der nationalen Interessen und der strategischen nationalen Einheit liegt und von einem unabhängigen Presserat beaufsichtigt wird.“ Eine glaubwürdige und qualitativ hochwertige Presse soll als Säule der Demokratie dienen. Zudem wollen sie das Gefühl der Sicherheit für Journalist*innen gewährleisten. „Wir hoffen sehr, dass es keine strafrechtlichen Verleumdungsklagen gegen Journalist*innen wegen ihrer professionellen Arbeit in naher Zukunft geben wird.“