Tagtäglich erleben die Papuas Einschränkungen in der Ausübung ihrer Meinungsfreiheit. Öffentliche Versammlungen und Kundgebungen werden oftmals unter Einsatz der Sicherheitskräfte auch zum Teil gewaltsam aufgelöst, weshalb besonders in Zeiten der Corona-Pandemie das Internet vermehrt an Bedeutung für den Austausch gewann. Erst im Mai berichtete das Westpapua-Netzwerk über den anhaltenden Internetausfall in Westpapua und Ende April über die Freiheitsstrafe eines Papuas für einen angeblichen Facebook-Post. Viele Papuas nutzen jedoch soziale Medien und Nachrichtendienste, um sich und andere über den anhaltenden bewaffneten Konflikt in Westpapua zu informieren und diesen vergessenen Konflikt zu einem sichtbaren Konflikt zu machen und sind daher – wie Milliarden andere Menschen weltweit auch – auf die Internetfreiheit angewiesen.
Gleichzeitig mit der verstärkten Nutzung des Internets während der Pandemie vermerkt „Freedom House“ jedoch auch einen dramatischen Rückgang der globalen Internetfreiheit. Das digitale Handeln stellt neue Herausforderungen an die Menschenrechte und die demokratische Regierungsführung. Staatliche und nichtstaatliche Akteure in vielen Ländern nutzen nun die durch die Pandemie geschaffenen Möglichkeiten, um Online-Narrative zu formen, kritische Äußerungen zu zensieren und neue technologische Systeme der sozialen Kontrolle aufzubauen, so Freedom House.
Drei Trends werden von Freedom House vermerkt:
Erstens nutzten die politischen Führer die Pandemie als Vorwand, um den Zugang zu Informationen einzuschränken. Die Behörden blockierten oft unabhängige Nachrichtenseiten und verhafteten Einzelpersonen unter dem Vorwurf, falsche Nachrichten zu verbreiten. Vielerorts waren es Staatsbeamte und ihre eifrigen Unterstützer, die tatsächlich falsche und irreführende Informationen verbreiteten, mit dem Ziel, korrekte Inhalte zu verdrängen, die Öffentlichkeit von unwirksamen politischen Maßnahmen abzulenken und bestimmte ethnische und religiöse Gemeinschaften zum Sündenbock zu machen. Einige Staaten sperrten Randgruppen den Zugang zum Internet und vergrößerten und vertieften damit bestehende digitale Gräben. Kurz gesagt: Regierungen auf der ganzen Welt sind ihrer Verpflichtung, eine lebendige und zuverlässige Online-Öffentlichkeit zu fördern, nicht nachgekommen.
Zweitens beriefen sich die Behörden auf COVID-19, um erweiterte Überwachungsbefugnisse und den Einsatz neuer Technologien zu rechtfertigen, die einst als zu aufdringlich angesehen wurden. Die Krise des öffentlichen Gesundheitswesens hat eine Öffnung für die Digitalisierung, Sammlung und Analyse der intimsten Daten der Menschen ohne angemessenen Schutz vor Missbrauch geschaffen. Regierungen und private Unternehmen nutzen verstärkt künstliche Intelligenz (KI), biometrische Überwachung und Big-Data-Tools, um Entscheidungen zu treffen, die die wirtschaftlichen, sozialen und politischen Rechte des Einzelnen betreffen. Entscheidend ist, dass es den damit verbundenen Prozessen oft an Transparenz, unabhängiger Aufsicht und Möglichkeiten zur Wiedergutmachung mangelt.
Der dritte Trend ist die Umwandlung einer langsamen „Zersplitterung“ des Internets in ein Wettrennen um die „Cyber-Souveränität“, bei dem jede Regierung ihre eigenen Internet-Regulierungen in einer Weise durchsetzt, die den Informationsfluss über nationale Grenzen hinweg einschränkt. Die meiste Zeit seit den Anfängen des Internets haben Unternehmen, die Zivilgesellschaft und Regierungsvertreter an einem konsensorientierten Prozess teilgenommen, um technische Protokolle, Sicherheitsstandards und kommerzielle Regulierungen weltweit zu harmonisieren. Dieser Ansatz ermöglichte die Anbindung von Milliarden von Menschen an ein globales Netzwerk von Informationen und Diensten, mit unermesslichen Vorteilen für die menschliche Entwicklung, einschließlich neuer Möglichkeiten, mächtige Akteure zur Verantwortung zu ziehen
Ministerialverordnung 5 (MR5) schränkt Internetfreiheit in Indonesien ein
Einige dieser Entwicklungen sind derzeit auch in Indonesien mit den Plänen der Ministerialverordnung 5 (MR5), die im November 2020 mit geringer Konsultation in Kraft getreten ist, zu beobachten. Die darin enthaltenen Pläne können sich besonders auf die indonesische Berichterstattung aus und über Westpapua auswirken.
Die MR5 verlangt von allen privaten digitalen Diensten und Plattformen, sich beim Ministerium für Kommunikation und Informationstechnologie zu registrieren und sich zu verpflichten, den Zugang zu ihren Systemen und Daten wie in der Verordnung festgelegt zu ermöglichen. MR5 regelt alle privaten „Betreiber elektronischer Systeme“, die in Indonesien zugänglich sind, breit definiert, um soziale Medien und andere Plattformen zum Austausch von Inhalten, digitale Marktplätze, Suchmaschinen, Finanzdienstleistungen, Datenverarbeitungsdienste und Kommunikationsdienste, die Messaging oder Videoanrufe und Spiele anbieten, einzuschließen. Die neue Verordnung betrifft nationale und regionale digitale Dienste und Plattformen, aber auch multinationale Unternehmen wie Google, Facebook, Twitter und TikTok.
Diese Unternehmen müssen „sicherstellen“, dass ihre Plattform keine „verbotenen Inhalte“ enthält oder deren Verbreitung erleichtert, was bedeutet, dass sie verpflichtet sind, Inhalte zu überwachen. Ein Versäumnis kann zur Sperrung der gesamten Plattform führen. Die Anforderung der Verordnung an Unternehmen, Inhalte proaktiv zu überwachen oder zu filtern, ist sowohl mit dem Recht auf Privatsphäre unvereinbar als auch geeignet, eine Vorzensur zu bewirken, so Human Rights Watch.
„Die Ministerialverordnung 5 ist ein Instrument der Zensur, das den vielen digitalen Diensten und Plattformen, die in Indonesien genutzt werden, unrealistische Lasten auferlegt“, sagte Linda Lakhdhir, Rechtsberaterin für Asien bei Human Rights Watch. „Es birgt ernsthafte Risiken für die Privatsphäre, die Meinungsfreiheit und den Zugang zu Informationen der indonesischen Internetnutzer.“
Die Definition von verbotenen Inhalten in der Verordnung ist extrem weit gefasst und umfasst nicht nur Inhalte, die gegen die ohnehin schon sehr weit gefassten indonesischen Gesetze zur Einschränkung der Meinungsäußerung verstoßen, sondern auch Material, das „öffentliche Unruhen oder öffentliche Unordnung verursacht“ oder Informationen darüber, wie man Zugang zu verbotenem Material erhält oder wie man tatsächlich Zugang zu diesem Material erhält. Letzteres schließt virtuelle private Netzwerke ein, die einem Benutzer den Zugang zu gesperrten Inhalten ermöglichen, aber auch routinemäßig von Unternehmen und Privatpersonen genutzt werden, um die Privatsphäre für legale Aktivitäten zu gewährleisten.
Bei „dringenden“ Anfragen verlangt die Verordnung, dass das Unternehmen den Inhalt innerhalb von vier Stunden herunternimmt. Für alle anderen verbotenen Inhalte müssen sie dies innerhalb von 24 Stunden nach der Benachrichtigung durch das Ministerium tun. Wenn sie dies nicht tun, können die Regulierungsbehörden den Dienst sperren oder, im Falle von Dienstanbietern, die nutzergenerierte Inhalte ermöglichen, erhebliche Geldstrafen verhängen.
Die für die Reaktion vorgesehene Zeit sei unrealistisch kurz, so Human Rights Watch – insbesondere für Unternehmen, die in mehreren Zeitzonen arbeiten und wird kleinere Unternehmen mit begrenztem Personalaufwand belasten. Unangemessen kurze Zeiträume für die Entfernung von Inhalten würden höchstwahrscheinlich dazu führen, dass Diensteanbieter präventiv Inhalte entfernen, um die Einhaltung der Vorschriften zu gewährleisten, und könnten kleinere Anbieter zur Schließung zwingen, die nicht über ausreichendes Personal verfügen, um auf solche Anfragen zu reagieren, so Human Rights Watch.
Die Verordnung scheint weder für das Unternehmen noch für die Person, die den Inhalt gepostet hat, einen Mechanismus vorzusehen, um die Anordnung des Ministeriums anzufechten, entweder bevor oder nachdem der Inhalt entfernt wurde. Das Fehlen von Verfahrensgarantien und von Möglichkeiten, gegen Entscheidungen Einspruch zu erheben, vergrößere laut Humans Rights Watch und anderen NGOs nur das Risiko, dass die Regulierungsbehörden die Bestimmungen zur Entfernung von Inhalten missbrauchen.
Gemäß der Verordnung müssen Unternehmen auch Zugang zu ihren „Systemen“ und „Daten“ für „Überwachungszwecke“ gewähren, wenn die Behörden dies verlangen. Außerdem müssen Unternehmen den Strafverfolgungsbehörden den Zugriff auf elektronische Daten für strafrechtliche Ermittlungen bei Straftaten ermöglichen, die mit einer Strafe von mindestens zwei Jahren Gefängnis bedroht sind. Anforderungen, dass Behörden direkten Zugang zu Systemen oder massiven Mengen an Informationen erhalten, die von privaten Unternehmen gesammelt und gespeichert werden, sind sehr bedenklich. Solche Anforderungen sind besonders anfällig für Missbrauch, neigen dazu, wichtige Verfahrensgarantien zu umgehen, und können leicht die Grenzen dessen überschreiten, was als notwendig und verhältnismäßig angesehen werden kann, so Human Rights Watch.
Um Zugangsanfragen zu erleichtern, verlangt die Verordnung von jedem Unternehmen, eine lokale Kontaktperson zu benennen, die solche Anfragen entgegennimmt und bearbeitet. Ein Unternehmen, das es versäumt, Aufsichtsbehörden und Strafverfolgungsbehörden Zugang zu gewähren, muss mit Strafen rechnen, die von einer schriftlichen Verwarnung bis zum Entzug der Registrierung reichen. Human Rights Watch fürchtet, dass die Anforderung, eine lokale Kontaktperson in Indonesien zu benennen, Unternehmen viel anfälliger für den Druck machen werde, überzogenen Aufforderungen zur Entfernung von Inhalten nachzukommen, und unweigerlich zu einer Zunahme von unnötiger Zensur führe und die Privatsphäre der Menschen und ihr Recht auf Zugang zu Informationen gefährde.
„MR5 ist eine Menschenrechtskatastrophe, die die Meinungsfreiheit in Indonesien zerstören wird, und sollte in seiner derzeitigen Form nicht angewendet werden“, sagte Lakhdhir. „Die indonesische Regierung sollte die Verordnung sofort aussetzen und einen Konsultationsprozess mit Interessenvertretern und zivilgesellschaftlichen Gruppen einleiten, basierend auf der Prämisse, dass jede neue oder überarbeitete Verordnung mit internationalen Standards für Datenschutz und freie Meinungsäußerung übereinstimmen muss.“