Katholische und Evangelische Kirche in Westpapua appellieren gemeinsam an Regierung

Die Entführung des neuseeländischen Piloten und die auch damit zusammenhängende fortschreitende Militarisierung in Westpapua erschweren weiter den Weg zu einem friedlichen Dialog. Der Schritt des indonesischen Militärs, den Einsatz in Westpapua nun als „gefechtsbereit“ zu klassifizieren, lässt in Westpapua die Sorgen nur noch weiter wachsen.

Vor dem Hintergrund der aktuellen Ereignisse in Westpapua schloss sich nun erstmalig die Katholische Kirche mit den vier größten Evangelischen Kirchen in Westpapua zusammen, die in der Vergangenheit bereits mehrfach als Kirchenrat von Westpapua ihre Stimme erhoben haben.

Gemeinsam sprechen sie sich in einem offenen Brief gegen die weiter zunehmende Militarisierung in Westpapua aus.

In einer dazugehörigen Pressekonferenz am 26. April appellierten Bischof Yanuarius Theofilus Matopai You (katholische Kirche), Rev. Dorman Wandikbo (Vorsitzender der Gidi-Kirche), Rev. Socratez Sofyan Yoman (Vorsitzender der Kirche der Baptisten), Rev. Tilas Mom (Vorsitzender der Kingmi-Kirche), Rev. Andrikus Mofu (Vorsitzender der GKI-TP) und Rev. Benny Giay (Kingmi-Kirche, Moderator des Kirchenrats von Westpapua): „Wir wollen keine zivilen Opfer. Deshalb bitten wir den Präsidenten der Republik Indonesien inständig, die Truppen abzuziehen und Schritte für Verhandlungen und einen humanitären Ansatz zu unternehmen.“.

Die aktuelle Situation sei eine menschliche Tragödie, die uns alle davon abhalte, das Bild eines jeden Menschen als das „Gesicht Gottes auf Erden“ zu sehen, so die Kirchenführer in ihrem offenen Brief.

Die Gewalt in Westpapua sei in den letzten Jahren massiv angestiegen. So stellte Amnesty International Indonesien fest, dass es von 2018 bis 2022 mindestens 91 Fälle von außergerichtlichen Tötungen gab, an denen Armee, Polizei, Justizvollzugsbeamte und Unabhängigkeitskämpfer beteiligt waren und in denen mindestens 177 Zivilisten getötet wurden. Die Zahl der Armee- und Polizeiangehörigen, die im gleichen Zeitraum Opfer wurden, betrug 44 Personen, die der Pro-Unabhängigkeitsgruppe 21 Personen.

Aus den Daten des Institute for Policy Analysis and Conflict Studies (IPAC) gehe außerdem hervor, dass die Zahl der aufstandsbedingten Gewalttaten zwischen 2010 und 2021 weiter angestiegen sei und im Jahr 2021 die Zahl von 80 Fällen überschritt. Bei diesen Vorfällen wurden mindestens 320 Menschen getötet, hauptsächlich Zivilisten (178 Personen), Angehörige der Sicherheitskräfte (92 Personen) und Unabhängigkeitskämpfer (50 Personen). Nicht weniger als 98 Prozent der Todesfälle (316 Menschen) ereigneten sich in der Provinz Papua. Untersuchungen des Zentrums für Strategische und Internationale Studien (CSIS) zeigen außerdem, dass die Gewalt in Papua viermal so hoch sei wie im Landesdurchschnitt. Dies sei sehr ironisch, wenn man bedenke, dass Papua im Vergleich zu anderen Provinzen eines der höchsten Verhältnisse von Sicherheitskräften pro Bevölkerung habe, so die Religionsführer.

Aktuelle Beispiele aus Timika, Nduga und Wamena zeigen die Vielzahl der Opfer auf beiden Seiten. Die Zahl der Binnenflüchtlinge sei ebenfalls auf etwa 67.000 gestiegen.

Die derzeitige Situation sei jedoch nicht das Ergebnis eines einzelnen Vorfalls, wie etwa der Geiselnahme eines Piloten, betonen die Kirchenführer.  

„Sie ist das Ergebnis einer langen Geschichte. Gerade in den letzten vier Jahren hat sich die Situation drastisch verschlechtert. Nach unseren Beobachtungen als religiöse Führer wurden die Entwicklungen nach dem rassistischen Vorfall im August 2019 von der Anwendung eines Szenarios beherrscht, das nicht mehr darauf abzielte, eine Lösung für den Konflikt zu finden oder die Wurzeln des Konflikts zu ergründen (Wurzeln des Rassismus, Wurzeln der Diskriminierung, Wurzeln der Marginalisierung, Wurzeln des verstärkten politischen Protests). Die Absicht bestand darin, das gesamte Territorium Papuas zu kontrollieren und jeglichen politischen Widerstand zu lähmen. Dieses Szenario wird durch eine reale, gezielte und strukturierte Militarisierung verwirklicht.“

Die Situation in Westpapua sei „menschengemacht“ betonen die Religionsführer und verurteilen jede Form von Gewalt – von allen Konfliktparteien. Aber „wie ist es möglich, dass die Grundrechte der Papua so weit eingeschränkt werden, dass sie getötet werden können?“ fragen sie und ergänzen: „Wie ist es möglich, dass die offiziellen Institutionen, die das Volk repräsentieren, stumm und ohnmächtig sind und ihnen eine Stimme verweigert wird, wenn sie sich zu Wort melden? Wie kann ein Priester oder eine einfache Mutter in ihrem Dorf ermordet werden, und die Täter bleiben ungestraft? Viele Fragen verwirren uns. Warum gibt es keinen Raum für eine offene Diskussion über die Wurzeln unseres Konflikts?“

Die „menschengemachte“ Situation in Westpapua müsse auch von Menschen korrigiert werden. Die Anerkennung der Würde der Papuas und die Anerkennung der Bedeutung des Landes für die Papuas seien hier wesentliche erste Schritte, so die Kirchenführer.

Insgesamt formulieren die Kirchenführer sechs Forderungen:

  1. Wiederherstellung aller verfassungsmäßigen Grundrechte und deren Schutz in Westpapua (freie Meinungsäußerung, Versammlungsfreiheit, Gleichheit vor dem Richter, Abzug der Truppen, etc.)
  2. Schutz und Versorgung der Binnenflüchtlinge
  3. Der Präsident sollte bereit sein, einer Arbeitsgruppe ein formelles Mandat zu erteilen, um einen „Friedensdialog“ mit Papua einzuleiten; diese Arbeitsgruppe sollte nicht aus willkürlichen Vertretern bestehen, sondern aus einer Reihe von Personen, die offen, kompetent und die in der Lage sind, objektiv zu analysieren, ohne von bestimmten politischen Interessen beeinflusst zu sein.
  4. Eine ähnliche Arbeitsgruppe wie in 3) sollte parallel für die Zusammenarbeit auch in Papua gebildet werden. Die Führer der zivilen Regierung Papuas können zusammen mit den Führern der Kirchen gebeten werden, die Arbeitsgruppe zu bilden.
  5. Um die Arbeit der beiden Arbeitsgruppen zu ermöglichen, sollten alle beteiligten Parteien eine „Humanitäre Pause“, oder die Beendigung aller Formen von Gewalt seitens der TPNPB-OPM und der Sicherheitskräfte erklären.
  6. Speziell in Bezug auf die Geiselnahme schlagen wir vor, dass der Verhandlungsprozess von den Kirchen geführt wird und dass alle Truppen rund um den Ort, an dem der Pilot festgehalten wird, in ihr Hauptquartier zurückgezogen werden. Es ist unmöglich, eine Verhandlung zu führen, wenn die Drohung der Behörden vor der Tür steht. (…) Der Rückzug der Sicherheitskräfte ist in diesem Fall kein „Gesichtsverlust“, sondern vielmehr die Anwendung eines „sehr edlen Gesichts“, weil die Würde eines jeden Menschen über alles gestellt wird! Dies hat oberste Priorität!

Hier ist der Brief der Kirchenführer auf Englisch zu lesen: