Gemeinsam mit Watch Indonesia veröffentlicht das Westpapua-Netzwerk einen Überblick der aktuellen Menschenrechtslage in Indonesien.
Dem Recht Geltung verschaffen!
Präsident Joko Widodo hat sein Amt im Jahr 2014 mit dem Versprechen zahlreicher Reformbemühungen angetreten. Insbesondere im Bereich der Menschenrechte und der Anwendung geltenden Rechts blieb seine Administration bis heute die Einlösung vieler Versprechen schuldig. Menschenrechtsverbrechen der Vergangenheit werden nicht juristisch aufgearbeitet; neuerliche Menschenrechtsverletzungen werden begangen, ohne dass die Täter sich zur Verantwortung stellen müssen. In Westpapua nahm das Vorgehen gegen Demonstranten zu. Insbesondere in dieser Region erlaubt es die verschleppte Reform der Militärgerichtsbarkeit Soldaten oft ungestraft gegen Zivilisten vorzugehen.
Religionsfreiheit: Ungehindert durch die Exekutive bedrohen gewaltbereite Banden (vigilante groups) religiöse und gesellschaftliche Minderheiten. Muslimische Glaubensgruppen wie Ahmadis und Schiiten erleben gewaltsame Übergriffe, Vertreibung und die Hinderung an der Ausübung ihres Glaubens. Christlichen Gemeinden wird der Bau von Kirchen verwehrt, »illegale« Kirchengebäude werden abgerissen. Der Oberste Gerichtshof Indonesiens urteilte bereits 2010, dass der Bau der Yasmin-Kirche in Bogor, Westjava, nach Recht und Gesetz unverzüglich zur Nutzung freigegeben werden müsse. Die Umsetzung dieses Urteils lässt fast sechs Jahre später noch immer auf sich warten. In zahlreichen Provinzen und Kommunen wurden gesetzliche Regelungen erlassen, die beispielsweise Frauen das Tragen des Kopftuchs vorschreiben oder nächtliche Ausgehverbote für unbegleitete Frauen verfügen. Obgleich offenkundig verfassungswidrig greift das Innenministerium als einzige nationale Aufsichtsbehörde nicht gegen diese Regelungen ein. Das Mandat des Verfassungsgerichts beschränkt sich auf die Beurteilung nationaler Gesetze.
Minderheiten: Die rasche Zunahme von Angriffen und Bedrohungen auf sexuelle Minderheiten (LGBT) während der letzten Monate gibt Anlass zu größter Sorge. Sie steht für die schleichend um sich greifende Einschränkung individueller Rechte aller Bürgerinnen und Bürger. Diese wird beflügelt durch Äußerungen von Politikern und anderen Personen des öffentlichen Lebens.
Scharia in Aceh: Besonders eklatant ist die Situation in Aceh. Die Provinz genießt den Status einer Sonderautonomie, innerhalb dessen islamisches Recht der Scharia angewendet wird. Während der Erlass eigenen Strafrechts nicht zu den Autonomiefreiheiten der Provinzregierung zählt, wurden dort dennoch neue Straftatbestände eingeführt. Für z.B. vor- und außerehelichen Geschlechtsverkehr, Homosexualität, Glücksspiel, Alkoholkonsum und -vertrieb werden Körperstrafen verhängt und öffentlich vollzogen, auch an Nicht-Muslimen. Kürzlich wurde eine christliche Frau fortgeschrittenen Alters öffentlich mit 28 Peitschenhieben bestraft, weil sie Alkohol verkauft hatte. Das Regierungskabinett von Präsident Joko Widodo lässt keine Bemühungen erkennen die Autoritäten in der Sonderautonomieprovinz Aceh in die Grenzen zu weisen und an ihre nationalen und internationalen Verpflichtungen zu erinnern.
In Westpapua im Osten des Landes saßen zu Beginn des Jahres 25 politische Gefangene Haftstrafen ab. Im Rahmen des anhaltenden politischen Konflikts kam es allein am 2. Mai 2016 zu mehr als 1.700 Verhaftungen von Demonstranten wegen friedlicher politischer Meinungsäußerungen. Wiederholt wird von Fällen von Tötungen von indigenen Papuas durch Sicherheitskräfte berichtet. Indigene Papuas sind durch Landraub und Zuwanderung existentiell bedroht. Der Zugang zu Bildung und Gesundheitsversorgung für indigene Papuas (ca. 2 Mio.) ist deutlich eingeschränkter als der für Transmigranten (ca. 2,5 Mio.) aus anderen Teilen Indonesiens. Ausländische Journalisten dürfen trotz einer gegenteiligen Ankündigung von Präsident Joko Widodo im Mai 2015 nicht einreisen, um über die Situation frei berichten zu können. Lokale Journalisten sind häufig Drohungen und Übergriffen ausgesetzt. Politische Aktivisten werden verfolgt. Einige flohen innerhalb der letzten 12 Monate nach Papua-Neuguinea.
Die Todesstrafe wird in Fällen von Höchststrafen weiterhin häufig verhängt. Ende 2014 befanden sich 136 Gefangene in Todeszellen, 64 davon wegen Drogendelikten. Im Januar 2015 wurden sechs Personen, im April 2015 weitere acht hingerichtet. Zwölf der 14 Hingerichteten waren AusländerInnen. Für den Mai 2016 hat die indonesische Staatsanwaltschaft die Hinrichtung weiterer 15 Menschen, darunter 10 AusländerInnen vorgesehen.
Klimabeitrag: Ende 2015 tobten in Sumatra, Kalimantan und Westpapua einmal mehr massive Waldbrände. Die allein dadurch verursachte CO2-Emission wirft die weltweiten Bemühungen um die Begrenzung des Klimawandels um Jahre zurück. Die Abholzungsraten in Indonesien sind die höchsten weltweit. Vielfach sind große Unternehmen dafür verantwortlich, die Raum für neue Palmöl- und Holz-/ Zellstoffplantagen zu schaffen suchen. Sie eignen sich Waldgebiete häufig unter Zwang an. Sie gefährden nicht nur Lebensräume für Tier- und Pflanzenarten, sondern auch die Lebensgrundlage indigener Gemeinden. Die verantwortlichen Firmen sind Indonesiens Regierung und Justiz bekannt. Konsequente Maßnahmen bleiben dennoch aus.
Vergangenheitsaufarbeitung: Massive Gewaltverbrechen der indonesischen Vergangenheit werden nicht aufgearbeitet und Täter nicht zur Verantwortung gezogen. Dazu zählen die Massaker gegen Kommunisten 1965, denen bis zu eine Mio. Menschen zum Opfer fielen, Massentötungen in Westpapua in den 1970er Jahren, schwere Kriegsverbrechen in Aceh sowie Gewaltakte vor und nach dem erzwungenen Rücktritt von Diktator Suharto 1998. Die letztendlich Verantwortlichen für den Mord des prominenten Menschenrechtsverteidigers Munir 2004 wurden bis heute nicht verurteilt.
Wissenschaftliche oder kulturelle Veranstaltungen zur Vergangenheitsaufarbeitung stehen unter dem Generalverdacht der »Wiederbelebung des Kommunismus« und erleben dieselbe Bedrohung durch »vigilante groups« wie bereits in Zusammenhang mit Religion und LGBT beschrieben. Anstatt das Recht auf freie Meinungsäußerung, das Recht auf Versammlung und die Freiheit von Wissenschaft und Kultur zu verteidigen, verbieten Polizei und Behörden solche Veranstaltungen, um eine Konfrontation zu vermeiden, wie es dann offiziell heißt.
In den Beziehungen mit Indonesien muss nachdringlich auf folgende Reformnotwendigkeiten hingewirkt werden:
• geltendes Recht muss auf allen Ebenen konsequent durchgesetzt werden,
• Harmonisierung der Gesetze und Verordnungen, die mit der Verfassung und Gewährleistung der Menschenrechte in Widerspruch stehen, z.B. der Erlass gegen die Ahmadiyah, das Schariagesetz in der Provinz Aceh, etc.. Diese müssen überarbeitet oder ersatzlos annulliert werden,
• Schutz aller Religionsgruppen, sexueller, indigener oder anderer gesellschaftlicher Minderheiten, einschließlich der überlebenden Opfer von 1965 und ihren Angehörigen,
• effektiver Schutz friedlicher politischer, wissenschaftlicher oder kultureller Aktivitäten bzgl. »sensibler« Themen und deren TeilnehmerInnen,
• Durchführung justizieller Untersuchungen durch die Staatsanwaltschaft und geschichtliche Aufarbeitung aller Fälle von massiven Gewaltverbrechen der Vergangenheit,
• Öffnung Westpapuas für UN Menschenrechtsmechanismen und ausländische Beobachter,
• Freilassung aller politischen Gefangenen und ein Ende der Verhaftungswellen bei politischen Versammlungen in Westpapua
• Abschaffung der Todesstrafe,
• Konsequenter Schutz der Rechte lokaler Gemeinschaften durch Anwendung und Überprüfung der FPIC (Free, Prior and Informed Consent) Standards in Landrechtsfragen.
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